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Blogbeitrag25.09.2025

Ur-Inventar

Der Gründungsbestand des Fontane-Archivs und sein erstes Verzeichnis

von Klaus-Peter Möller

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Alois Blankhart
Friedrich Fontane in Neuruppin (Sammlung Georg Wolpert)

»Ach, wie liebten wir das Archiv, diese wohltemperierte Enklave im Weltgetriebe und fühlten uns darin ›zu Hauser als zu Hause.‹« In ihrer Autobiographie Meine Irrungen, Wirrungen erinnerte sich die am 3. März dieses Jahres 2025 verstorbene Schriftstellerin Gisela Heller an das Fontane-Archiv als einen Ort geistiger Heimat und Geborgenheit. 90 Jahre wird das Archiv in diesem Jahr alt, wenn man nur die Jahre der Institution zählt, die mit dem Ankauf des Nachlasses im Dezember 1935 begannen. Der 90. Geburtstag ist ein willkommener Anlass, das Feiern zu proben, Überlegungen auf den Weg zu bringen, wie das große Jubiläum in 10 Jahren begangen werden soll, und dankbar an die Personen zu erinnern, die mit der Geschichte des Archivs verbunden sind.

Unter diesen Menschen spielte Friedrich Fontane (1864-1941), der jüngste Sohn von Emilie und Theodor Fontane, eine herausragende Rolle. Er hat sich unermüdlich für das Werk seines Vaters eingesetzt, wurde in den 1890er Jahren dessen wichtigster Verleger, hat den Nachlass seiner Eltern verwahrt, geordnet und erschlossen, die verschiedenen Nachlass-Editionen betreut und mit Material ausgestattet und sich schließlich bemüht, das Archiv geschlossen in eine öffentliche Institution zu überführen. Als er sich 1933 eingestehen musste, dass die Verhandlungen mit der Staatsbibliothek gescheitert waren, entschloss er sich, den Nachlass versteigern zu lassen. Bei der denkwürdigen Auktion vom 9. Oktober 1933 wurde etwa ein Viertel der Lose zugeschlagen, in der Folgezeit kam es zu einigen Nachverkäufen, Einzelstücke hat Friedrich Fontane verschenkt. Der immer noch beträchtliche Rest des Nachlasses wurde 1935 von der Brandenburgischen Provinzialverwaltung angekauft. Es war der Gründungsbestand des Fontane-Archivs als Institution des Landes Brandenburg. 

Friedrich Fontane hat auch das ›Ur-Inventar‹ des Fontane-Archivs erstellt, und zwar ex negativo. Es ist einfach ein Exemplar des von Hellmut Meyer & Ernst publizierten Auktionskatalogs 35 vom 9. Oktober 1933, in das er die Schätzpreise übertrug, und zwar für alle Lose, auch die verkauften, und die Verkäufe kennzeichnete. Seine Markierungen hat Friedrich Fontane in einer Legende über der ersten Seite des Katalogteils zu Fontane erläutert: 
 

»Erklärung
Die Bleistiftzahlen sind die Schätzungspreise (conf. die gedruckte Liste)
Die Nummern zwischen Klammern gingen bei der Auktion fort. 
Die mit einem Kreis umringelten Nummern verkaufte die Firma nach der Auktion einzeln und – so weit es sich um Th. F.ʼsche Originale handelt – wiederrechtlich zu Schundpreisen, um sich Geld zu machen.«

Zusätzlich strich Friedrich Fontane die verkauften Lose durch. Nicht gestrichen blieben nur die nicht verkauften, also noch vorhandenen Teile des Nachlasses. Die auf S. 66 notierte ›Gebrauchsanleitung‹ hat Friedrich Fontane auf einem beigefügten Blatt wiederholt, das er unterschrieb und datierte: »Fr. Fontane. Neur[uppin]. d. 1 / X. 35.« Auf dem Doppelblatt mit den nachträglich zur Auktion eingereichten Nummern 545a-c hat er unter demselben Datum eine Erklärung zu diesem aus dem Nachlass seines am 16. Mai 1933 verstorbenen Bruders Theodor stammenden Material festgehalten. Das ›Ur-Inventar‹, das den Gründungsbestand des Fontane-Archivs als Institution beschreibt, hat Friedrich Fontane also am 1. Oktober 1935 erstellt, knapp zwei Jahre nach der Auktion von 1933. 

Das so präparierte Katalogexemplar wurde 2022 vom Fontane-Archiv als Teil des Nachlasses von Hermann Fricke angekauft (Fontane Blätter 117, 2024, S. 159, 4.2.). Hermann Fricke, der zum ersten Archivleiter wurde, führte 1935 im Auftrag der Brandenburgischen Provinzialverwaltung die Ankaufverhandlungen mit Friedrich Fontane. Vielleicht hat Friedrich Fontane dieses ›Ur-Inventar‹ sogar für ihn angefertigt. Fricke hat den Verhandlungsgegenstand in diesem Katalogexemplar zusätzlich noch einmal mit Kreuzen am Rand markiert. Außerdem hat er an einzelnen Stellen im Katalog Bemerkungen eingetragen. Am 29. November 1935 reichte er dem Landesdirektor Dietloff von Arnim ein Gutachten ein, in dem er den Ankauf empfahl. Diesem Memorandum lag eine siebenseitige Liste bei, auf der das zum Ankauf empfohlene Objekt in 110 Einzelpositionen beschrieben ist.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Hermann Fricke: Bericht über den Nachlass Theodor Fontanes an den Landesdirektor Dietloff von Arnim, Berlin, 29. November 1935, Anlage (BLHA Rep. 55, XI, 869, Bl. 5).

Diese Liste ist das erste ›positive‹ Inventar des Gründungsbestandes des Fontane-Archivs als Institution. Die Daten sind einfach aus dem ›Ur-Inventar‹ abgeschrieben. Weil diese Liste auch zur Begründung des Ankaufpreises diente, sind zu den einzeln aufgeführten Objekten auch die Preise angegeben, und zwar die Schätzpreise der Auktion von 1933, denen jeweils aktuelle, stark reduzierte Werte gegenübergestellt wurden. Eine Kopie dieser Liste, auf der die Preisangaben ausgeblendet sind, ist Bestandteil des am 18. Dezember 1935 von Friedrich Fontane und Hermann Fricke unterzeichneten Vorvertrages, der als Geburtsurkunde des Fontane-Archivs gilt. Der definitive Vertrag, der am 20. Januar 1936 geschlossen wurde, ist verschollen. Aber dem handschriftlich aufgesetzten Vertragstext ist zu entnehmen, dass ein ausführliches Verzeichnis Bestandteil auch dieses Vertrages war. Es wird vermutlich dieselbe Liste oder eine Abschrift davon gewesen sein. Sämtliche Angaben dieser Listen sind aus dem von Friedrich Fontane am 1. Oktober 1935 mit Markierungen und Erklärungen versehenen ›Ur-Inventar‹ übernommen, die reduzierten Schätzpreise hat Hermann Fricke hinzugefügt.

Mit dem am 18. Dezember 1935 unterzeichneten Vorvertrag war der Konsens in allen wichtigen Punkten erreicht. Bereits am 23. Dezember 1935 kam es zur Übergabe wesentlicher Teile des Archivs, was durch zwei Übergabe-Quittungen dokumentiert ist, in denen der Einfachheit halber lediglich die Nummern des Auktionskataloges von 1933 zur Bezeichnung der übergebenen Objekte aufgelistet sind. Die Aufsetzung des definitiven Vertrags war also nur noch ein formaler Akt. Durch den Vorvertrag vom 18. Dezember und die am 23. Dezember erfolgte Übergabe war das Archiv bereits in das Eigentum und in den Besitz des Landes Brandenburg übergegangen. 

Wenige Wochen später wurde ein weiterer Teil des Fontane-Archivs von Friedrich Fontane angekauft, der »wissenschaftliche Apparat«. Er bestand aus den Erschließungsmitteln, die Friedrich Fontane angelegt hatte (Karteien 1-18, 18a), einer Zeitungsausschnittsammlung, der Handbibliothek Fontanes, den von Emilie Fontane geführten Haushaltsbüchern, einigen Archivalien, die als Teile des echten Nachlasses angesehen werden müssen, darunter das Manuskript Theodor Storm, das heute zu den vermissten Beständen des Archivs zählt, zwei Kartons mit Briefen an Fontane, zwei »Packen« mit Fotografien, einer Sammlung von Druckschriften sowie verschiedene Erinnerungsstücke, darunter auch die Ellora-Mappe. Der Vertrag über diese Objekte wurde am 21. Februar 1936 zwischen Friedrich Fontane und der Verwaltung des Brandenburgischen Provinzialverbandes geschlossen. 
Die Abschriftenkonvolute wurden 1937 sukzessive von Friedrich Fontane übernommen. Die Bedingungen formulierte Friedrich Fontane handschriftlich in einem Nachtrag zum Vertrag vom 21. Februar 1936 über den wissenschaftlichen Apparat. 
Ein weiterer Nachlassteil wurde 1937-38 von der Volkshochschule Neuruppin angekauft, darunter die Briefe Fontanes an seinen Sohn Friedrich, die Ellora-Fahne, zahlreiche Erinnerungsstücke und Bilder sowie die Sammlung von Notendrucken der Lied- und Chorkompositionen zu Texten Fontanes. 
Einige Teile des Nachlasses seiner Eltern, von denen er sich unter keinen Umständen trennen wollte, behielt Friedrich Fontane zurück, darunter die von Generation zu Generation fortgeerbte Familienstanduhr, die sich heute im Museum Neuruppin befindet, Mobiliar aus deren Besitz sowie einige besonders anrührende Erinnerungsstücke.
 

Archivalien

BLHA Rep. 55, XI, 869 Ankauf des Theodor-Fontane-Archivs: 

Hermann Fricke: Bericht über den Nachlaß Theodor Fontanes an den Landesdirektor Dietloff von Arnim, Berlin, 29. November 1935. Bl. 1–11, die Liste Bl. 5–11.

Vorvertrag, 18. Dezember 1935, Bl. 15–24, die Liste Bl. 18–24.

Handschriftlich aufgesetzter Text für den definitiven Vertrag, Bl. 34–38.

Übergabequittungen, Bl. 27, 31.

Verzeichnisse des »wissenschaftlichen Apparats« sowie Berichte und Korrespondenz darüber.
 

Literatur

Theodor Fontane – August von Kotzebue. Zwei deutsche Dichternachlässe. Manuskripte und Briefe sowie Ausgewählte Autographen. Versteigerung Montag, den 9. Oktober 1933 vormittags ab 11 Uhr und nachmittags ab 4 Uhr. Hellmut Meyer & Ernst Katalog 35. Das Exemplar mit den Markierungen von Friedrich Fontane: TFA: Fricke III,4.2. 

Gisela Heller: Meine Irrungen, Wirrungen. Edition digital 2020.

Annette Dittrich, Dominik Ermshaus, Klaus-Peter Möller: Hermann Fricke (1895–1992), Teilnachlass III. In: Fontane Blätter 117, 2024, S. 152–166.

Klaus-Peter Möller: Inventare. Zur Geschichte der Verzeichnungsmittel der Fontane-Papiere. 1. Nachlass (1902–1935). 2. Fontane-Archiv (ab 1935). Fontane Blätter 119, 2025.

Empfohlene Zitierweise:

Klaus-Peter Möller: Ur-Inventar. Der Gründungsbestand des Fontane-Archivs und sein erstes Verzeichnis, Blogserie Objekt des Monats. Hrsg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 25.9.2025. URL: https://www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2025/09/25/ur-inventar