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Blogbeitrag01.09.2024

»Abschreibe-Maschine«

Emilie Fontane, Effi Briest und die Anführungszeichen

von Anna Busch

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Erste Seite des Briefs von Emilie Fontane an Theodor Fontane jun., 5. Juli 1888, Theodor-Fontane-Archiv an der Universität Potsdam, B 611

»Ich bin nur noch Abschreibe-Maschine«, klagt Emilie Fontane am 5. Juli 1888 ihrem Sohn Theodor Fontane Junior angesichts der ihr übertragenen Aufgabe, das Manuskript von Fünf Schlösser in Reinfassung zu bringen. Theodor Fontane Senior könne nicht in die Sommerfrische abreisen, solange das Manuskript nicht fertig sei, ergänzt sie. Erst gute zehn Tage später, am 16. Juli 1888, reist zuerst Theodor, etwas später, am 22. Juli 1888, schließlich Emilie nach Krummhübel ab. Während des anderthalbmonatigen Aufenthalts, überarbeitet Theodor Fontane die Fünf Schlösser-Abschrift Emilies, bevor er sie an Wilhelm Hertz zum Druck schickt.

Nur Einzelnes hat sich von diesem Manuskript erhalten. Die erste Seite von Kapitel 10 der »Quitzöwel« gewidmeten Abteilung findet sich in Emilies charakteristisch klarer, gut lesbarer Schrift heute in der Staatsbibliothek zu Berlin. Die Korrekturen ihres Mannes sind als Ergänzungen der Kapitelüberschrift und Verbesserungen und Zusätzen über den Zeilen zu erkennen und zeigen die typische Arbeitsaufteilung zwischen den Eheleuten: Abfassung des Manuskripts durch Theodor Fontane, Abschrift durch Emilie Fontane und schließlich die Korrektur der Abschrift wieder durch Theodor Fontane. Dieser Arbeitsablauf wiederholt sich regelmäßig. In seiner Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig würdigt Theodor Fontane seine Frau entsprechend: »[Sie] hat mir alle meine von Korrekturen und Einschiebseln starrenden Manuskripte abgeschrieben, also, meine dicken Kriegsbücher mit eingerechnet, gute vierzig Bände.«

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Werkmanuskript zu »Fünf Schlösser«, »Quitzöwel«, Kapitel 10, Abschrift von Emilie Fontanes Hand mit Korrekturen von Theodor Fontane, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

Der Abschreibdienst, den Emilie Fontane ihr gesamtes Eheleben versieht, ist nicht ohne Herausforderungen. Die Manuskripte, die ihr vorliegen, zeichnen sich durch einen oft kaum zu durchdringenden Änderungs- und Korrekturdschungel aus. Theodor Fontane streicht, korrigiert und ergänzt über, neben und unter der Zeile, zuweilen am Blattrand oder am Seitenende. Er benutzt verschiedenfarbige Stifte für verschiedene Korrekturdurchgänge, er klebt Zettel ein, macht Verweisungszeichen, die mitunter Text von der Blattrückseite einschließen oder er streicht ganze Absätze oder Seiten, um sie an anderer Stelle wiederaufzunehmen.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Stiftung Stadtmuseum Berlin
Einzelseite aus Kapitel 8 von »Effi Briest« in Abschrift von Emilie Fontane mit Korekturen von Theodor Fontane.

Am 15. April 1894 (TFA, B 635) schreibt Emilie Fontane an den Sohn Theo: »In diesen Tagen ist er mit der Correktur seiner großen Arbeit [Effi Briest] fertig und mein untergeordnetes Amt des Abschreibens beginnt dann wieder.« Das »untergeordnete Amt des Abschreibens« erweist sich auch im Fall des Effi Briest-Manuskripts als eine Herausforderung. Wie die Abschrift des 8. Kapitel von Emilies Hand, die sich im Stadtmuseum Berlin befindet, zeigt, hat Theodor Fontane auch hier im Anschluss an die Abschrift durch seine Frau weitere umfangreiche Korrekturen vorgenommen. Zum Teil sind ganze Passagen mit Blaustift gestrichen und mit einer neuen Textversion von Emilies Hand überklebt, die Theodor Fontane wiederum korrigiert. Knapp einen Monat später, am 13. Mai 1894 (TFA, B 636) berichtet Emilie Sohn Theo von den erzielten Fortschritten:

Papa u. ich sind mit der großen Arbeit [Effi Briest] fertig, die mich mehr angegriffen hat, abzuschreiben, wie den Autor zu vollenden, Gott sei Dank. Er ist sehr zufrieden damit u. ganz unbekümmert um den Beifall des großen Publikum´s.

Emilie Fontane an Theodor Fontane Junior, 13. Mai 1894

Nach der Erstpublikation von Effi Briest als sechsteilige Folge ab Oktober 1894 in der Deutschen Rundschau erhielt deren Herausgeber, Julius Rodenberg, verschiedene Rückmeldungen durch das Lesepublikum. Eine, die sich mittelbar nur in Theodor Fontanes brieflicher Antwort auf die Weiterleitung durch den Herausgeber erhalten hat, betrifft auch Emilie Fontanes Abschreibearbeit. Am 11. Dezember 1894 räumt Theodor Fontane Julius Rodenberg gegenüber einen Fehler im Effi Briest-Abdruck in der Deutschen Rundschau ein:

Berlin 11. Dezmbr. 94.

Potsd. Str. 134. c.

Hochgeehrter Herr.

Sie, in Ihrer Güte,
stellen sich gegen den
»furchtbaren Leser«. Aber
der furchtbare Leser
hat Recht. Meine
Frau hat wahrscheinlich
einen Fehler beim
Abschreiben gemacht und
die berühmten Gänse-
füßchen, die schon so
viel Unheil angerichtet
haben, übersehn. Ich
ließ mir das Ur-Manu-
skript

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: GSA Weimar
Brief Theodor Fontane an Julius Rodenberg, Berlin, 11. Dezember 1894, Goethe- und Schiller-Archiv (Weimar), Signatur: 81/III,5,1

vom Boden holen
und da stand es dann
alles ganz richtig.

Crampas sagt:
»Junge Frauen glauben
vieles nicht.«

Worauf Effi antwortet:
»Und dann glauben sie wieder
vieles, was sie besser nicht
glaubten.«

Aus diesen zwei Sätzen
hat meine Frau (oder viel-
leicht auch der Setzer) einen
gemacht, so daß Crampas
beides sagt. Und nun
war die Confusion ge-
boren. Schließlich muß
ich Herrn Jul. Weiß (an
den ich schreiben werde) noch
dankbar sein. Wie immer in
vorzüglicher Ergebenheit

Th. Fontane

Bild: GSA Weimar
Brief Theodor Fontane an Julius Rodenberg, Berlin, 11. Dezember 1894, Goethe- und Schiller-Archiv (Weimar), Signatur: 81/III,5,1

Das Urmanuskript, das sich Theodor Fontane vom Dachboden holen ließ, befindet sich heute – unvollständig (Kapitel 2-36 von Theodor Fontanes Hand und Kapitel 8 von Emilie Fontanes Hand haben sich erhalten) – in der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Die Textstelle, die der Leser der Deutsche Rundschau, Julius Weiß, bemängelt, findet sich mittig auf der Seite und belegt die von Theodor Fontane intendierte Zweiteilung des in Frage stehenden Zitats.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Stiftung Stadtmuseum Berlin
Eigenhändige Manuskriptseite aus Kapitel 17 von »Effi Briest« von Theodor Fontane. Das im Stadtmuseum Berlin erhaltene, eigenhändige Manuskript »Effi Briest« ist unvollständig. Es umfasst die Kapitel 2 bis 36. Das Kapitel 8 ist in der Abschrift von Ehefrau Emilie Fontane erhalten, das Manuskript wurde von Theodor Fontane noch einmal überarbeitet. Auf den beschriebenen Rückseiten finden sich frühe Entwürfe zu »Effi Briest«, »Frau Jenny Treibel«, Gedicht- und Briefentwürfe.

Im Erstdruck in der Deutschen Rundschau sind die Anführungszeichen, die die Sprechakte voneinander trennen und sie unterschiedlichen Akteuren, Crampas und Effi, zuweisen, tatsächlich nicht abgedruckt. Dort heißt es: »Junge Frauen glauben vieles nicht. Und dann glauben sie wieder vieles, was sie besser nicht glaubten.« Die Zuordnung der folgenden Äußerungen des Dialogs gerät damit durcheinander und verwirrt den aufmerksamen Leser.

Für die Interpretation der Figuren Crampas und Effi ist diese Schlüsselszene entscheidend. Sagt nun Crampas junge Frauen »glauben […] wieder vieles, was sie besser nicht glaubten« oder sagt es Effi? Es ändert ja durchaus die Hellsichtigkeits- und Sensibiltätsdimension der jeweiligen Fontane’schen Figur. Und welche Rolle spielt hier Emilie Fontane? Indem sie (durch die unterschlagenen Anführungszeichen) Crampas den bedeutungsschweren Satz, der ja eigentlich der Schlüsselsatz des gesamten Romans ist, sagen lässt, den ihr Mann, Theodor Fontane,  eigentlich Effi zugedacht hat, weist sie Crampas die Rolle des verstehenden, weitsichtigen Überblickenden und Einordnenden zu. Effi hingegen bleibt in ihrer Naivität verhaftet. Der Weitblick, die eigene Situation als das zu erkennen, was sie ist, nämlich ein Verlustgeschäft für Effi selbst, ist damit verwehrt. Hat Emilie Fontane den Roman ihres Mannes so gelesen, ihn so verstanden und Effi Briest in einer weiblichen Verstehensbeschränkung und Handlungsunfähigkeit verharren lassen? Spricht hier womöglich Emilie Fontanes Unterbewusstsein, das nur eine solche Dimension der weiblichen Hauptfigur zulassen kann? Oder gehen die fehlenden Anführungszeichen doch allein auf ein Versehen - womöglich sogar des Setzers - zurück?  Die Frage muss offen bleiben. In den Folgedrucken ist der »Fehler« getilgt, die Anführungszeichen sind nach Theodor Fontanes Intention gesetzt und der ununterbrochene Lesefluss ist gewährleistet.

Leider hat sich das Kapitel 17 von Effi Briest, in dem der in Frage stehende Austausch zwischen Crampas und Effi stattfindet, nicht in der Abschrift von Emilie Fontane erhalten. Der genaue Vergleich von Urschrift, Abschrift und Druck bleibt damit verwehrt und die Frage ungeklärt, ob der Setzer oder Emilie Fontane für die fehlenden Anführungszeichen verantwortlich ist. Betrachtet man allerdings das 8. Kapitel von Effi Briest, welches von Emilie Fontanes Hand vorliegt, dann wird deutlich, mit welch gewissenhaftem Eifer sie sich der Abschrift widmet, mit welcher Sorgfalt und Genauigkeit sie zu Werke geht und welch widrige Korrekturumstände sie vorfindet. Umstände, die durchaus einen Abschreibefehler erklären können. Die umfangreichen Korrekturen und Streichungen die Theodor Fontane schließlich in Emilies Abschrift vornimmt, erklären, warum sie einzelne, besonders unübersichtliche Stellen mit von ihrer Hand neugeschriebenen Textteilen überklebte. So verwundert es nicht, dass sie das Abschreiben »mehr angegriffen hat« als »den Autor [das Werk] zu vollenden«.

Empfohlene Zitierweise: Anna Busch: »Abschreibe-Maschine. Emilie Fontane, Effi Briest und die Anführungszeichen«, Blogserie Objekt des Monats, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 1.9.2024. URL: https://www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2024/09/1/abschreibe-maschine.