Urlaubspost

Wenn in den heißen Sommermonaten die Abwasserdünste des Landwehrkanals bis hinauf in die Wohnung in der Potsdamer Straße stiegen, hielt es selbst einen notorischen Berliner wie Theodor Fontane nicht in der Stadt. Flugs wurden die Koffer gepackt und ab ging’s in die Sommerfrische! Freilich durften Fontanes Korrespondenzen für die Dauer dieser zwei- oder gar dreimonatigen Abwesenheiten nicht unterbrochen werden. Entsprechend tragen zahlreiche seiner Briefe als Absendeort eine Stadt an der Nord- und Ostsee, im Harz oder Riesengebirge. Zuweilen belegt sogar der gedruckte Kopf des verwendeten Briefpapiers den Aufenthalt in einem bestimmten Hotel. Ein Medium, das zumindest die Älteren unter uns traditionell mit Urlaubspost verbinden, stand Fontane allerdings zunächst nicht zur Verfügung: die Ansichtspostkarte.

Eine offizielle Beförderungsbewilligung für Bildpostkarten erteilte die Deutsche Reichspost nämlich erst 1885. Zu diesem Zeitpunkt war die Postkarte im Deutschen Reich seit 15 Jahren eingeführt und hatte sich bereits formal wie funktional ausdifferenziert. Trotz sittlicher und ökonomischer Bedenken – man fürchtete Indiskretionen wegen der offenen Lesbarkeit und der Anonymität des Absenders sowie finanzielle Einbußen wegen des geringeren Portos –, war das neue Medium am 1. Juli 1870 im Gebiet des Norddeutschen Bundes und in Bayern, kurz darauf in Württemberg und Baden in den Verkehr gebracht worden. Neben der sukzessiven Zulassung als internationales Korrespondenzmittel, die 1878 in der Einführung einer speziellen Weltpostkarte gipfelte, waren es die Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten, die die Postkarte dauerhaft zu etablieren verhalfen. Dazu zählten das Angebot einer Antwortpostkarte ab 1872 und insbesondere die besagte Beförderungsbewilligung für Bildpostkarten, die freilich nur auf der Rückseite (also auf der Seite mit dem Bild!) beschriftet werden durften. Erst 1905 erfolgte die schon unmittelbar nach Einführung der Postkarte geforderte Erlaubnis von Mitteilungen auch auf einer Hälfte der Adressseite.

Die Rückseite der Bildpostkarte, die Fontane am 9. September 1890 von der Prinz-Heinrich-Baude im Riesengebirge an Georg Friedlaender versandt hat.

Im Rahmen seiner umfangreichen Korrespondenz machte auch Fontane rasch von dem neu eingeführten Medium Gebrauch. Insgesamt lassen sich 166 Postkarten aus seiner Feder (und anderen Schreibwerkzeugen) ermitteln, die an 60 verschiedene Adressaten gerichtet sind, die meisten an seinen Schriftstellerkollegen Karl Eggers (30) und an den wichtigsten Korrespondenten seiner Altersjahre, den Schmiedeberger Amtsrichter Georg Friedlaender (24). An Letzteren ist auch die vorliegende Ansichtspostkarte adressiert, die Fontane am 9. September 1890 aus seiner Sommerfrische im Riesengebirge versandt hat, und zwar von der Prinz-Heinrich-Baude, einer erst im Jahr zuvor errichteten Schutzhütte für Bergwanderer. Unterhalb einer Abbildung der Baude schreibt Fontane in der gebotenen Kürze: »Mit 70 wird man wieder jugendlich und steigt nicht blos auf die Heinrichsbaude hinauf, sondern thut auch das denkbar Jugendlichste und sendet Bilder-Postkarten grüßend in die Welt hinaus. Die eine davon trifft Sie.«

Die launige Bemerkung Fontanes kann als Beleg dafür gelten, dass es sich beim Versand von Bildpostkarten um eine Modeerscheinung der Zeit handelte, die – wie bei Modeerscheinungen üblich – hauptsächlich unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbreitet war. Dementsprechend ist es im Roman ›Die Poggenpuhls‹ die Figur der sich in ihren Zwanzigern befindlichen Sophie, die der Autor eine »Karte […] mit einem Bilde drauf (Heinrichsbaude)« an ihre Familie schreiben lässt. Gleichwohl sollte man aus der Bemerkung nicht ableiten, dass Fontane den sukzessive eingeführten speziellen Nutzungsmöglichkeiten von Postkarten grundsätzlich ablehnend gegenüberstand.

Die Karte an Friedlaender ist zwar die einzige Bildpostkarte Fontanes, die überliefert ist; sie gehört zu dem Konvolut der Friedlaender-Briefe, die das Theodor-Fontane-Archiv bei einer Auktion im November 2010 erwerben konnte. Wie aber die Karte selbst nahelegt, sind andere ihresgleichen womöglich verlorengegangen, denn Fontane schreibt von »Bilder-Postkarten« (im Plural) und setzt hinzu: »Die eine davon trifft Sie.«

weiterführende Literatur

Anett Holzheid: Das Medium Postkarte. Eine sprachwissenschaftliche und mediengeschichtliche Studie. Berlin 2011. (Philologische Studien und Quellen, 231).

Bernd W. Seiler: Fontanes Sommerfrischen. Berlin 2018.

Rainer Falk: Fontanes Postkarten. In: Hanna Delf von Wolzogen und Andreas Köstler (Hrsg.): Fontanes Briefe im Kontext. Würzburg 2019, S. 51–69. (Fontaneana, 16).