
Potsdam (epd). Vor vier Jahren wurde der 200. Geburtstag von Theodor Fontane mit einem umfangreichen Programm und einem Fontane-Jahr begangen. Am 20. September 2023 steht der 125. Todestag bevor. Die Forschung über den in Neuruppin geborenen märkischen Schriftsteller und bedeutenden Vertreter des bürgerlichen Realismus verlagere sich inzwischen verstärkt in den digitalen Bereich, sagte die Literaturwissenschaftlerin Anna Busch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Wissenschaft operiere „auf der Höhe des digitalen Zeitalters“. Zentraler Motor sei das Potsdamer Fontane-Archiv, das unter anderem über die weltweit umfangreichste Sammlung von Briefen von und an den Schriftsteller verfügt. Anna Busch leitet derzeit vorübergehend das Archiv.
epd: Wie wurde Fontanes Tod 1898 in Berlin und der Literaturwelt aufgenommen?
Anna Busch: Als Fontane am 20. September 1898 starb, war er einer der bekanntesten Schriftsteller Berlins und im Deutschen Reich. Entsprechend groß war das Presseecho. In sämtlichen Berliner Tageszeitungen und Zeitschriften und in der gesamten Presse des Deutschen Reichs erschienen Nachrufe, in denen Fontane und sein literarisches Werk gewürdigt wurden. Auch im Ausland wurde das Ereignis wahrgenommen. Die Beisetzung am 24. September fand unter Teilnahme einer großen Öffentlichkeit statt. Die Grabrede hielt der Prediger der französischen Gemeinde, Eugène Devaranne. Kränze kamen unter anderem von Kaiser Wilhelm II., von der Stadt Neuruppin, vom Verein Freie Bühne, vom Vorstand des Berliner Zweigvereins der Deutschen Schillerstiftung, vom Touristen-Club für die Mark Brandenburg. Unter den Trauergästen waren viele Persönlichkeiten der Berliner Gesellschaft. Auch über die Beerdigung erschienen ausführliche Berichte in den Berliner Tageszeitungen. Mitte Oktober erschien Fontanes Roman „Der Stechlin“. Das löste eine umfangreiche Welle von Rezensionen aus, in denen Fontane erneut als bedeutender Autor, sein letzter Roman als „Vermächtniswerk“ gewürdigt wurde. Bereits zum ersten Todestag konstituierte sich ein Denkmalausschuss und veröffentlichte einen Aufruf zu einem Fontane-Denkmal, das am 8. Juni 1907 in Neuruppin enthüllt wurde. Ein weiteres Denkmal wurde 1908 im Berliner Tiergarten errichtet.
epd: Welche Bedeutung haben Fontane und seine Werke aus Ihrer Sicht heute?
Busch: Fontane gilt heute als einer der wichtigsten Autoren des bürgerlichen Realismus, der für die Literaturwissenschaft wie für die künstlerische und populäre Rezeption eine hervorragende Rolle spielt. Für die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts gilt er geradezu als Kronzeuge. Seine Werke, Briefe und Schriften werden intensiv erforscht und erfreuen sich nach wie vor großer Popularität. Die Forschung erschließt die Texte mit neuen wissenschaftlichen Editionen, Tagungen und Forschungsbeiträgen.
epd: Was hat sich seit dem Jubiläumsjahr 2019 in der Fontane-Forschung getan?
Busch: Die bedeutendste Publikation seit dem Jubiläumsjahr 2019 ist fraglos das 2023 erschienene Theodor Fontane Handbuch. Von „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ bis „Effi Briest“, von den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ bis zu den Theaterkritiken, von den zahlreichen Briefkorrespondenzen bis zu den Tage- und Notizbüchern: Auf 1.400 Seiten und in rund 200 Artikeln vermisst das neue Theodor Fontane Handbuch Werk und Leben.
epd: Wo sehen Sie wichtigen, weiteren Forschungsbedarf?
Busch: In den vergangenen Jahren sind einige wichtige Editionen erschienen beziehungsweise begonnen worden, deren Forschungspotenziale bislang lediglich in Ansätzen ausgeschöpft sind. Zu nennen ist hier die zweibändige Publikation der Fragmente, die bisher umfangreichste Edition von Entwürfen, Notizen und Projektskizzen zu Erzähltexten und Essays aus Fontanes Nachlass, sowie die digitale Edition der Notizbücher. Eines der wichtigsten Editionsprojekte ist die seit 1994 im Aufbau-Verlag erscheinende Große Brandenburger Ausgabe, in der zuletzt die Theaterkritiken in vier umfangreichen Bänden erschienen sind. Eine Edition sämtlicher Briefe Fontanes ist seit Jahren als wichtiges Forschungsdesiderat im Gespräch. Als Archiv gehört es zu unseren Kernaufgaben, Forschenden Zugang zu Materialien zu gewähren und damit Grundlagenforschung möglich zu machen.
epd: Was für Schwerpunkte setzt das Fontane-Archiv derzeit?
Busch: Das Theodor-Fontane-Archiv befindet sich seit einigen Jahren auf dem Weg zu einem auch digitalen Archiv, also in einem institutionellen Transformationsprozess, der de facto ein Prozess der Erweiterung der Archivaufgaben und -tätigkeiten ist. Unser Ziel ist es, sämtliche archivalischen Dienste künftig auch online anzubieten und mit unserer Website eine Plattform anzubieten, auf der die Materialien und Informationen für Forscherinnen und Forscher, aber auch Fontane-Leserinnen und -Leser ortsungebunden zur Verfügung stehen. Das ist ein langer Prozess, innerhalb dessen bereits wichtige Etappen erreicht worden sind.
epd: Was für Etappen sind das?
Busch: Die Digitale Handschriftensammlung, die in die Website des Fontane-Archivs integriert ist, ermöglicht die Publikation der Handschriften- und Dokumentenbestände von und zu Fontane im Internet. Mit der ebenfalls in die Website des Fontane-Archivs integrierten Fontane Bibliografie online steht die 2006 im De Gruyter-Verlag publizierte Theodor Fontane Bibliografie von Wolfgang Rasch in einer ständig aktualisierten Fassung zur Verfügung. Mit den Fontane Blättern online haben Fontane-Archiv und Theodor Fontane Gesellschaft, in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Potsdam, über 50 Jahrgänge, mithin mehr als 100 Hefte der wissenschaftlichen Halbjahresschrift ebenfalls frei zugänglich im Netz publiziert. Die Fontane Chronik digital basiert auf der im Jahr 2010 veröffentlichten fünfbändigen Theodor Fontane Chronik Roland Berbigs, die in mehreren tausend Einträgen tagesgenau verzeichnet, was über das Leben und Wirken Fontanes bekannt ist. Die Fontane Briefdatenbank erschließt über 6.000 Briefe und löst das bisherige gedruckte Referenzwerk, das 1988 veröffentlichte Verzeichnis und Register der Briefe Fontanes, ab. All diese umfassenden bio- und bibliografischen Datenbestände zu Fontane in Form offener Kulturdaten bilden die entscheidende Grundlage für weitere Fontaneforschung. Alle diese Dienste sind als frei zugängliche Online-Datenbank kostenfrei verfügbar. Zu kaum einem anderen deutschsprachigen Autor findet man derzeit eine solche Fülle an wissenschaftlich gesicherten Datenbeständen im Netz. Die Fontane-Forschung operiert auf der Höhe des digitalen Zeitalters. Zentraler Motor dieser Entwicklung ist das Theodor-Fontane-Archiv. Nun gilt es, diese Datenbestände auszubauen, redaktionell zu pflegen und weiter untereinander zu vernetzten.
epd: Greift das Archiv den Todestag in irgendeiner Weise auf?
Busch: Für das Theodor-Fontane-Archiv ist ja immer Fontane-Jahr. Besondere Festivitäten zu Fontanes 125. Todestag sind keine geplant. Das liegt einerseits daran, dass die großen Festlichkeiten zum 200. Geburtstag 2019 unter überregionaler, ja internationaler Beteiligung noch nicht lange zurückliegen, und andererseits auch daran, dass der 125. Todestag ja nicht wirklich 'rund' ist. Der 100. Todestag wurde 1998 groß begangen. Ansonsten konzentrieren sich die Vorbereitungen hier im Haus augenblicklich auf das kommende Jahr, in dem wir den 200. Geburtstag von Fontanes Ehefrau Emilie zum Anlass nehmen werden, um dieser oft übergangenen Persönlichkeit die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.