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Blogbeitrag25.02.2025

Jahrestage

90 Jahre Fontane-Archiv

von Klaus-Peter Möller

Bild: TFA
Fontane-Büste von Peter Fritzsche (1978) vor dem Fontane-Archiv

Verglichen mit den großen Jubiläen, die wir in den vergangenen Jahren begehen konnten, den 200. Geburtstagen von Theodor (2019) und Emilie Fontane (2024), erscheint der 90., den das Fontane-Archiv in diesem Jahr feiert, verhältnismäßig unbedeutend. Im Leben eines Menschen sind 90 Jahre eine große Sache. Günter de Bruyn hat sogar einen Roman darüber verfasst, wo jemand diesen Alters lebt, welcher Zeit, welchem Ort er angehört, wie er seine Erfahrungen einbringen soll in den aktuellen Diskurs und welche Herausforderungen Geschichte und Gegenwart bedeuten. Seine zahlreiche Leserschaft war damit eingeladen, gemeinsam mit ihm über diese Fragen nachzudenken. Im Untertitel nannte er seinen Roman ironisch »ein ländliches Idyll«.

De Bruyn (1926-2020) war dem Werk Fontanes und der Arbeit des Fontane-Archivs zeitlebens verbunden. Auch er meldete sich zu Wort auf jener denkwürdigen Gründungsversammlung der Fontane Gesellschaft im damaligen Club der Künstler und Architekten »Eduard Claudius« in Potsdam. Das war am 15. Dezember 1990. Im Gedächtnis blieb Charlotte Jolles’ launige Suche nach einer passenden Gallionsfigur für die Gesellschaft, bei der sie, da sich sämtliche männlichen Charaktere als ›unausreichend‹ erwiesen, schließlich Melusine, Mathilde Möhring und Lene Nimptsch in den Blick nahm, um endlich Jenny Treibel vorzuschlagen, die das Poetische mit dem Praktischen zu verbinden verstehe. Die Gesellschaft wird also in diesem Jahr auch schon 35. Der 90., wie der 35., sind die großen Jubiläen vor den ganz großen, die es in absehbarer Zukunft vorzubereiten gilt.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA / Leonhard Penzoldt
Charlotte Jolles im Gespräch mit Walter Müller-Seidel am Rande der Realismus-Konferenz zum 150. Geburtstag Theodor Fontanes im September 1969 in Potsdam, TFA AI 243,3
 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
1965 anlässlich des 30. Archivgeburtstags erschien das erste Heft der Fontane Blätter. Inzwischen sind 118 Hefte erschienen, Bd. 119 ist in Vorbereitung

Die Fontane Gesellschaft vereinigt heute 800 Mitglieder, die in 20 Ländern leben und in 13 regionalen Sektionen und Freundeskreisen organisiert sind. Die jüngste Sektion wurde im vergangenen Jahr in Italien aus der Taufe gehoben. Die Zahl der Freunde, Leser und Verehrer der Werke Fontanes ist natürlich noch weit größer. Auch der 1994 gegründete und über Jahrzehnte von Kurt Stappenbeck geleitete Fontane-Kreis Bochholt gehört dazu. Nirgends hat es mehr Veranstaltungen zu Fontane gegeben als in diesem Städtchen am westlichsten Zipfel Deutschlands. Hauptstadt und Wallfahrtsort der Fontane-Gemeinde ist natürlich der Geburtsort Neuruppin, der sich seit 1998 offiziell als Fontanestadt bezeichnet. Was die Kulturbeflissenen in dieser Stadt Jahr für Jahr auf die Beine stellen, ist beachtlich. In Neuruppin befindet sich auch der Sitz der Fontane-Gesellschaft.

Das Fontane-Archiv feierte seine Jahrestage mit internationalen wissenschaftlichen Tagungen. Auf dem Festakt zum 30. Gründungsjubiläum übergab die Berliner Staatsbibliothek dem Fontane-Archiv am 18. Dezember 1965 die wertvollen Autographen aus dem eigenen Bestand als Dauerleihgaben, darunter die Notizbücher, den Roman Mathilde Möhring, eine bedeutende Sammlung erzählerischer Fragmente und umfangreiche Briefkonvolute. Im Jahr des 30. Archivgeburtstages 1965 erschien auch das erste Heft der Fontane Blätter, die heute vom Fontane-Archiv gemeinsam mit der Fontane Gesellschaft herausgegeben werden. Seither sind 60 Jahrgänge erschienen, 118 Hefte, Heft 119 ist in Vorbereitung. Die Festschrift zum 60. Archivjubiläum im Jahr 1995, herausgegeben von dem damaligen Leiter Manfred Horlitz, enthält einen reichen Schatz von Berichten, Dokumenten und Erinnerungen (pdf-Download).

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Herbert Dörries / TFA
Auf dem Festakt zum 30-jährigen Archivjubiläum übergibt Prof. Dr. Horst Kunze, Generaldirekter der Deutschen Staatsbibliothek Berlin (Ost), am 18. Dezember 1965 die Fontane-Autographen der Staatsbibliothek als wertvolle Dauerleihgabe an das Theodor-Fontane-Archiv, Dr. Heino Brandes, der Direktor der Brandenburgischen Landes- und Hochschulbibliothek Potsdam, nimmt die Leihgabe entgegen und reicht sie an Archivleiter Joachim Schobeß weiter, TFA AI 150,56a

Gotthard Erler hat seinen 90. gefeiert, indem er im Juni 2023 seinen wiederholt wegen Corona-Beschränkungen und ähnlichen Hindernissen aufgeschobenen Vortrag über den Bruderzwist im Hause Mann endlich hielt, im Fontane-Archiv, zu dessen fleißigsten und produktivsten Nutzern er seit über 60 Jahren gehört. Besonders gern erinnert er sich an seinen ersten Besuch am Gründonnerstag 1964 gemeinsam mit Peter Goldammer und Anita Golz. An seinem 90. hat er sich gut gelaunt in das Gästebuch des Archivs eingetragen.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Vortrag und Geburtstagsfeier – Iwan-Michelangelo D’Aprile, Gotthard Erler und Peer Trilcke am 20. Juni 2023 im Theodor-Fontane-Archiv

Unter den Literaturarchiven ist das Fontane-Archiv mit seinen 90 Jahren schon ein Methusalem. Nur das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar ist älter. Wie es bei in die Jahre kommenden Instituten geht, die Geburtsurkunde ist leider im Lauf der Zeiten abhanden gekommen. Der am 20. Januar 1936 geschlossene Kaufvertrag ist verschollen. Überliefert ist der Vorvertrag, der am 18. Dezember 1935 von Friedrich Fontane als letztem der noch lebenden Erben und im Auftrag des Oberpräsidenten des Provinzialverbandes Brandenburg von Hermann Fricke unterzeichnet wurde, ein Dokument, übersät mit Korrekturen und Ergänzungen. Im Wesentlichen war man sich aber einig: Das Fontane-Archiv, die einzigartige Hinterlassenschaft von Theodor und Emilie Fontane, für die Friedrich Fontane als Erbe seit 1902 die Verantwortungslast getragen hatte, sollte in die Hände der Öffentlichkeit übergehen. Dass sich aus diesem Ankauf eine eigene Institution entwickeln sollte, die gute Aussichten darauf hat, im Jahr 2035 ihr hundertjähriges Jubiläum zu feiern, war den Unterzeichnern nicht bewusst.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Hellmuth Nürnberger (1930-2017), dem Fontane-Forscher und ersten Präsidenten der Fontane Gesellschaft, widmete das Archiv zu seinem 85. Geburtstages ein Symposium über das Glück

Empfohlene Zitierweise: Klaus-Peter Möller: Gedenktage. 90 Jahre Theodor-Fontane-Archiv, Blogserie Objekt des Monats, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 25.2.2025. URL: https://www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2025/02/25/jahrestage