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Blogbeitrag20.01.2021

»Sein literarisches Herz sollte man nicht verstecken«

Der stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs, Joseph Anton Kruse, stellt sich vor

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Seit ihrer Gründung 2013 setzt sich die Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs e.V. dafür ein, das Archiv in seiner Tätigkeit als bedeutendes Literaturarchiv und Zentrum der internationalen Fontane-Forschung zu unterstützen. So hat sie etwa 2019 erstmals gemeinsam mit dem Archiv den Fontane-Wissenschaftspreis für herausragende Verdienste um die Erforschung von Werk und Leben Theodor Fontanes verliehen. Hier steht uns der stellvertretende Vorsitzende, Joseph Anton Kruse, Rede und Antwort zu seinem Fontane-Bezug und zur Rolle von Literaturarchiven heute.

Joseph Anton Kruse war Honorarprofessor am Germanistischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und von 1975 bis 2009 Direktor des dortigen Heinrich-Heine-Instituts. Seit 2014 ist er stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs e.V.

Theodor-Fontane-Archiv: Lieber Herr Kruse, was bedeutet Ihnen Theodor Fontane?

Joseph Anton Kruse: Nichts ging dem kriegsversehrten Deutschlehrer in der Kleinstadt des südwestlichen Münsterlandes, knapp an der holländischen Grenze gelegen, wo ich die ersten Klassen des altsprachlichen Gymnasiums als Fahrschüler vom Lande aus zu besuchen hatte, Mitte der 1950er Jahre über das Auswendiglernen von Balladen. Und nichts lag ihm näher als der Balladendichter Fontane mit diesen dramatischen oder anrührenden Geschichten: ob Die Brück am Tay, John Maynard oder Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland mit der sagenhaften »Birn« oder »Beer« (was mir aus dem Plattdeutschen vertraut klang), die es nach und nach zu memorieren galt. Dagegen hatte es gar die Droste mit dem landschaftlich näheren Der Knabe im Moor oder Heine (ja auch damals anerkennenswerter Weise wieder bzw. schon) mit seinem aus dem Bibelunterricht bekannten Belsatzar schwerer. Alles ließ sich zwar gut merken und dabei ein theatralisches Sprechen üben, aber Fontane siegte eben aufgrund der enormen Anzahl von Versen, derer gedacht werden sollte.

Frühe Liebe wird belohnt durch untergründige Anhänglichkeit. Und die wurde in späteren Jahren der Schule wie des Universitätsfachs Germanistik ein wenig auf die Probe gestellt. Fontane tauchte, so viel ich mich erinnere, im Kanon nach den aufzusagenden ersten Begegnungen nur noch selten auf. Dass ich dann an Heine bereits vor jener unsere deutsche Literaturgeschichte umschreibenden Studentenbewegung von 1968 im Bonner Studium hängen blieb, war ebenfalls eher ein Wunder. Für ihn wie für Fontane bedurfte es jeweils der unentwegten Wiederentdeckung. Letzterer wurde in meinem Fall sogar erst bei der in eigenen Seminaren zur Kunst der Text- wie Sprachbetrachtung in den frühen 1970er Jahren erfolgreich hervorgeholt: Denn kein Beispiel machte im Lehrplan für die Erklärung von gestörter Kommunikation mehr überzeugende Furore als das misslungene Gespräch zwischen Effi Briest mit ihrer nach der ehelichen Trennung beim Besuch papageienartig antwortenden Tochter. Fontane als Lyriker und als Romancier war anschließend unweigerlich einer meiner bevorzugten Gegenstände in studentischen und anderen Lektüre-Veranstaltungen bis zuletzt, wofür sich besonders sein 200. Geburtstag 2019 anbot. Sein Charme blieb ungebrochen – und darüber hinaus galt es die Wanderungen durch die Mark Brandenburg zu entdecken, seine Berichte, Kritiken und gar die Briefe. Kaum ein Autor von Weltrang weiß durch ein spezielles Lokalkolorit das Publikum so zu fesseln wie er.

Theodor-Fontane-Archiv: Welche (gesellschaftliche) Bedeutung kommt Literaturarchiven zu?

Joseph Anton Kruse: Die Sammlung und Pflege überkommener kultureller Schätze gehört als säkulare Variante gewissermaßen zu allen bekannten Formen von Tradition und Kultus. Auch wenn das, was sich heutzutage unter dem Titel Literaturarchiv verbirgt, jüngeren Datums sowie mit Goethe und Schiller zunächst in Weimar verbunden ist, gibt es Vorformen und mannigfaltige Ausprägungen zu einzelnen speziellen Erscheinungsarten von Sammlungen für die Nachwirkung von Gestalten der Weltliteratur weltweit. Dabei muss bedacht werden, dass mit dem ersten Buchstaben des Alphabets nur begonnen wird, aber Erweiterungen durch Bibliothek und Museum bzw. Ausstellungen sowie Veranstaltungen unter diesem Dach der manifesten Kulturerinnerung enthalten sind und auch die Namensgebung eines solchen Literaturarchivs einige weitere Aspekte repräsentiert oder dadurch aufgebrochen wird, die sehr mit der jeweiligen politischen und sozialen Geschichte verknüpft sind. Solche Verhältnisse sind sozusagen der Historie von Entstehung und Fortgang eines Literaturarchivs eingeschrieben wie abzulesen, ja darin geradezu in wachsenden Ringen abgebildet.

Nicht nur die Handschriften (was sich in Zukunft unweigerlich verändern oder der digitalen Welt anpassen wird) für eine wissenschaftlich vertretbare Ausgabe gehören zu den Beständen und begründen sie, sondern eben auch die Primär- und die sogenannte Sekundärliteratur. Sämtliche Materialien, die mit dem Leben, Schaffen und der Wirkung oder dem Bekanntheitsgrad einer repräsentativen Person zu tun haben, beziehen sich auf ein nie endendes Streben nach Vollständigkeit und Erweiterung einer Kollektion von eigentlich jeweils entschwundenem Leben wie Nachleben mit seinen anregenden Strukturen. Vermittlung lautet das unbedingte Zauberwort: Ohne die reellen Zeugnisse im Literaturarchiv ist die Erweckung ihrer Wirkmöglichkeit in der sich noch so rasch ändernden je neuen Gegenwart mit ihren je aktuellen Fragestellungen nicht möglich. Die inzwischen enormen technischen Fortschritte helfen der Verbreitung und dem erleichterten Zugriff. Deren Folgen bedeuten stets die Re-Aktivierung von ›Botschaften‹, die somit auf ›Empfang‹ aus sind und positive Veränderungen und emphatische Akzeptanz, also einen nicht nur akademischen, sondern überhaupt humanen Gewinn bedeuten. Im Grunde versinnbildlicht die wahrgenommene Existenz von Literaturarchiven so etwas wie die Annahme unserer erweiterten Bedingungen von Herkunft und Zukunft in familiären wie freundschaftlichen Verbänden, ohne deren Schutz und Schirm wir sehr viel ärmer wären und so vieler sinnvoller Zusammenhänge beraubt.

Theodor-Fontane-Archiv: Warum sollten sich (auch und gerade junge) Leute in einem Förderverein engagieren?

Joseph Anton Kruse: Sein literarisches Herz mit allen möglichen Vorlieben sollte man nicht verstecken, sondern dem ersten Eindruck und dem frühen Interesse folgen. Und was ist dafür geeigneter und besser als ein Fanclub, der unter solchen Bedingungen längst nicht immer nur aus der so erwachsen gediegenen Generation bestehen muss. Besonders die akademische Jugend, die sich sogar für irgendwelche Referate oder andere darauf aufbauende schriftliche Arbeiten bei Fontane festbeißt und seine moderne Ausstrahlungskraft zu würdigen lernt und weiß, wie wichtig und hilfreich sämtliche gesammelten Hilfsmittel sind, sollte schon aus purer Solidarität einem Verein beizutreten geneigt sein, der diesem allzeit jugendlich-frischen Heros für das oft Besondere und dennoch Notwendige zum regulären Ablauf im Fontane-Archiv unter die Arme greift. Das gilt genauso für das gesamte absichtslos zu nennende junge oder nachwachsende Fontane-Publikum, das mit dem Wissenschaftsbetrieb nichts am Hut hat, sondern sich durch die Konfrontation mit Fontanes Person wie Werk, durch welche Medien und aus welchen Gründen auch immer, für ihn interessiert und begeistert. Die Motive könnten aus Dankbarkeit, anhänglicher Zugehörigkeit oder Neugier erwachsen sein. Sie besäßen damit sogar manch familiär-freundschaftliche, die Epochen schlicht überspringende Färbung. Ein solches Experiment lohnt immer. Die Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs zu Potsdam ist wie geschaffen dafür. Denn eine sich speziell kümmernde Verantwortung oder Vorsorge ist nun wirklich nie und nimmer allein die Sache von älteren Leuten. Wem sage ich das …

Theodor-Fontane-Archiv: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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