»Tausendkünstler«

Kronleuchter aus Papiermaschee – Handschuhe aus Birkenrinde: Emilie Fontanes Stiefvater Karl Wilhelm Kummer

von Klaus-Peter Möller

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Karl Wilhelm Kummer: Reliefkarte von Europa. TFA AI 281

Karl Wilhelm Kummer, 1785 in Ortrand geboren, 1855 in Berlin gestorben, war ein vielseitiger, inno­vativer, kreativer Künstler, Handwerker, Erfinder und Unternehmer. Bekannt wurde er durch seine Reliefgloben und -karten, die von wissenschaftlichen Zeitschriften und geographischen Vereinen gelobt wurden. Zum Bestand des Fontane-Archivs gehört eine Reliefkarte von Europa aus Kummers Werkstatt. Sie ist aus Papiermaschee, sorgfältig bemalt und in einen schlichten Holzrahmen gefasst, der prächtig wirkt durch die Ornamente, die den Kreis zum Quadrat ergänzen. In Theodor Fontanes Erinnerungs­buch Von Zwanzig bis Dreißig kommt Emilie Fontanes Adoptivvater nicht so gut weg. Er wird als wunderlicher Kantonist und Jeu-Genosse von Fontanes Onkel August eingeführt, dessen Ge­schäfts­gewohnheiten auch nicht gerade vertrauenerweckend waren. Emilie wuchs in wenig geordneten Verhältnissen auf. Sie wurde einem Dienstmädchen anvertraut, das sich seiner Aufsichtspflicht für das Kind wiederholt auf rücksichtslose Weise entzog. Immerhin räumt Fontane ein, dass Kummer ein »Tausend­künstler« war, der durch seine guten Beziehungen zur Bühne die Grundlagen für die spätere Theater­leiden­schaft seiner Frau legte.

Dass auch der größte Auftrag, den Kummer realisiert hat, vom Theater kam, wusste Fontane offenbar nicht. Der Globen­macher, Kartograph und Papiermascheekünstler hatte es nämlich übernommen, den Kronleuchter für das 1843 durch einen Brand zerstörte und von Carl Ferdinand Langhans in nur Jahresfrist neu errichtete Königliche Opernhaus herzustel­len.

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Innere Ansicht des Königlichen Opernhauses zu Berlin nach dem Neubau durch Langhans im Jahr 1844. In: Louis Schneider: Geschichte der Oper und des koeniglichen Opernhauses in Berlin. Mit architectonischen Beitraegen von Langhans. Prachtausgabe mit historischen Documenten, artistischen Beilagen und eingedruckten Holzschnitten. Berlin: Duncker und Humblot, 1852.

Die Zeitung Die Stafette berichtete am 27. Juli 1844 über dieses außer­gewöhn­liche Zeugnis Berliner Handwerks­kunst:

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Bericht über Kummers Kronleuchter. In: Die Stafette, Berlin, 6. Jg., Nr. 89, 27. Juli 1844, S. 353. TFA Kummer 13,4

»Die Deutsche Industrie-Ausstellung in unserm Zeughause wird theilweise auch den kolossalsten aller Kronleuchter, den für das Opernhaus, welcher von dem Commissionsrath Herrn F. W. Kummer (Oranienburgerstr. 33) verfertigt wird, zur Ansicht bringen. Der Leuchter wird von der Papiermachée­masse (auch eine Erfindung des Künstlers) gemacht, aus welcher auch die plastischen Thiergebilde Kummers, von denen schon ein ziemlich bedeutendes zoologisches Museum zur Ausstellung kommen wird, gebildet werden. Er besteht aus 3 Stockwerken! die mittelste Etage aus 8 kolossalen arabeskischen Armen, die in weibliche Figuren enden, deren jede einen Büschel von 20 – 30 Gasflammen mit dem Haupte hält. Sämmtliche Gasflammen dieses Kronleuchters sollen alle Flammen aller Kronleuchter des Kroll’schen Etablissements übertreffen. Die ganze Komposition des Leuchterkolosses (aus antiken Arabesken, Figuren) Postillen und Reliefs wird übergoldet und danach dieser Leuchter jedenfalls eins der größten Prachtwerke, die irgend ein Theater aufzuweisen vermag. Wenn der geniale Künstler und seine Riesenarbeit nur nicht so sehr beeinträchtigt würde durch das vermeintliche Besserwissenwollen. Nachträglich die Bemerkung, daß die Papiermascheemasse federleicht und eisenfest ist und von keinem Stoffe ersetzt werden kann.« (Die Stafette, Berlin, 6. Jg., Nr. 89, 27. Juli 1844, S. 353).

Kummers Kronleuchter, im August 1844 fertiggestellt, verlieh dem Saal der Königlichen Oper seit der Wiedereröff­nung des Hauses am 7. Dezember 1844 außergewöhnlichen Glanz, jedenfalls im Vergleich mit den Lüstern der Kroll-Oper, worauf es offenbar ankam. Das von dem Künstler in Rechnung gestellte Honorar von 6000 Rtl. fand Oberhofbauamtsdirektor Langhans allerdings zu hoch. Graf Redern, Chef der Baukommission, bot dem Hersteller 2000,- Rtl., was dieser so empörend fand, dass er die Rückgabe seines Werks verlangte, ein Begehren, dem die Baukommission natürlich nicht nachkam. Der Leuchter war schon eingebaut und in Benutzung. Kummer zog vor Gericht, verklagte die Baukommission und richtete am 24. Februar 1845 zusätzlich eine Immediateingabe an den König, die durch ein königliches Schreiben vom 9. April 1845 abgeschmettert wurde (TFA Kummer 35). Die am 5. Juli als Vergleich vorgeschlagene Summe von 2.500 Rtl. lehnte Kummer ab. Am 10. Oktober richtete er nochmals ein Gesuch an den König, die noch ausstehenden 4000,- Rtl. anzuweisen, das der König mit Schreiben vom 5. November 1845 ebenfalls abschlug (TFA Kummer 36). Kummer sei nicht auf das Vergleichsangebot eingegangen, nun müsse er die Gerichtsentscheidung abwarten. Die Akten von diesem Prozess haben sich im Teilnachlass Kummers im TFA erhalten (TFA Kummer 38). Das Königliche Kammergericht entschied am 21. Dezember 1846 im Sinne der Klage und verurteilte die Baukommission zu einer Nachzahlung von 3.200 Rtl. an den Kläger, da seine Arbeit durch verschiedene Sachverständigengutachten auf ca. 4.500 Rtl. geschätzt wurde und Kummer bereits 1.300 Rtl. Abschlagszahlungen erhalten hatte. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist ein weiterer Prozess, den die Strafanstalt Spandau im Mai 1846 gegen Kummer anstrengte, weil dieser von September bis November 1845 die für die Beschäftigung von Strafgefangenen in seiner Werkstatt fälligen Löhne nicht bezahlt hatte (TFA Kummer 37). Es ging um 159 Rtl. und 12 Sgr. Das Verfahren endete mit einem Vergleich. In dem Verfahren Kummers gegen die Baukommission wegen des Honorars für den Kronleuchter trat die Direktion der Strafgefangenenanstalt als Nebenkläger auf. Bereits seit 1842 hatte Kummer Häftlinge beschäftigt, deren Aufgabe es war, die von ihm hergestellten Kunstgegenstände zu formen und zu pressen. Berlins größtes Glanzlicht war also nicht nur ein echtes Kulissenfabrikat aus preiswertem Material, es ist auch mit Hilfe der Arbeit von Strafgefangenen entstanden. Kein Bühnenstar und keiner der Besucher des Opernhauses wird beim Strahlen der 330 Gasflammen an den Künstler Karl Wilhelm Kummer und die Häftlinge von Spandau gedacht haben.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Erleuchtungs-Gegenstände von Papiermachee. Angebot der Firma K. W. Kummer. TFA Kummer 13,9

 

Abgebildet ist der seinerzeit größte Kron­leuchter der Preußischen Hauptstadt auf einer der Beilagen zu Louis Schneiders Geschichte der Berliner Oper und des Königlichen Opernhauses. Sämtliche Details stimmen mit der Beschreibung im Zeitungsbericht überein, die noch durch zahlreiche Angaben in den Prozessakten ergänzt werden können. Auch aus dieser Erfindung, »Erleuchtungs-Gegenstände« aus Papiermaschee herzustellen, versuchte Kummer, ein Gewerbe zu machen, wovon ein Flyer mit einem Preisangebot zeugt, der ebenfalls im Teilnachlass erhalten ist (TFA Kummer 13,9). Die erläuternden Zeichnungen vermitteln eine Vorstellung davon, wie der Opern-Kronleuchter aufgebaut war und funktionierte.

Nicht nur mit Papiermaschee hat Kummer gearbeitet und virtuos Tierfiguren, Globen, Karten und den größten Kronleuchter Berlins daraus geformt. Er hatte offenbar überhaupt ein Faible für Materialien. In seinem Teilnachlass findet sich auch ein paar Handschuhe aus Birkenrinde, sehr gut erhalten, mit ganz feinen Nähten. Ob man sie tragen konnte, ob sie sich wirklich als Handschuhe benutzen ließen, inwieweit sie den Vorstellungen der zeitgenössischen Mode entsprachen und welchen praktischen Wert sie überhaupt hatten, war sicher nicht die Frage. Der Reiz bestand zweifellos darin, diese Handschuhe überhaupt herzustellen. Wie Kummer das Material behandelt hat, um es so verarbeiten zu können, ist nicht bekannt. Auch für ein Werbeschildchen hat Kummer Birkenrinde genutzt. Es trägt die Aufschrift: »Unterricht in der Musiv-Mahlerey ertheilt. K. W. Kummer.« (TFA Kummer 13,13).

Die Werbekarte der Papiermacheewaarenfabrik Kummers mit Tiermotiven, wie sie dort hergestellt wurden, ist aber gedruckt, und zwar im Lithographischen Atelier von Theodor Boesche in der Roß-Straße 1. Das Anbgebot ist charakteristisch: Kummer offeriert nicht nur Relief-Karten und Globen, sondern überhaupt alle möglichen plastischen Gegenstände aus allen denkbaren Gebieten der Architektur, Skulptur, Anatomie, Pomologie und Zoologie, nicht nur jeden auch aus anderen Materialien herstellbaren Körper, den er allerdings preiswerter zu liefern verspricht, sondern insbesondere »solche Sachen, die wegen Mangel eines zweckmäßigen Stoffes entweder nur sehr unvollkommen, oder auch noch gar nicht gebildet werden konnten.« Tausendkünstler halt.

Weiterführende Literatur

Louis Schneider: Geschichte der Oper und des koeniglichen Opernhauses in Berlin. Mit architectonischen Beitraegen von Langhans. Prachtausgabe mit historischen Documenten, artistischen Beilagen und eingedruckten Holzschnitten. Berlin: Duncker und Humblot, 1852.

Hans Pappenheim: Karl Wilhelm Kummer, ein Globenmacher und Relief-Spezialist des alten Berlin († 1855). In: Der Globusfreund 12 (JUNI 1963), S. 44-48.

Hans Pappenheim: Globen und Kartenkunde im Werk Theodor Fontanes. In: Der Globusfreund 12, JUNI 1963, S. 49-50.

Unveröffentlichte Briefe von Emilie Rouanet-Kummer und Theodor Fontane an Karl Wilhelm und Bertha Kummer [sowie von Emilie und Theodor Fontane an Bertha Kummer]. Herausgegeben und kommentiert von Joachim Schobeß. In: Fontane-Blätter, Potsdam, Bd. 4, Heft 1, 1977, S. 2-10.

Dieser Beitrag wurde wiederabgedruckt in den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 119. Jg., Heft 4 (2023), S. 595-598.

Empfohlene Zitierweise: Klaus-Peter Möller: »›Tausendkünstler‹. Kronleuchter aus Papiermaschee – Handschuhe aus Birkenrinde: Emilie Fontanes Stiefvater Karl Wilhelm Kummer«, Blog »Objekt des Monats«, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv. Potsdam 2021ff. URL: www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2022/10/4/tausendkuenstler. Veröffentlicht am: 04.10.2022.