Sammlungsgeschichte(n)

Die Dauerleihgabe des Vereins für die Geschichte Berlins im Theodor-Fontane-Archiv

Von Klaus-Peter Möller

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Theodor Fontane an den Verein für die Geschichte Berlins. Berlin, 4. Januar 1895 (VfdGB 53)

Die Dauerleihgabe des Vereins für die Geschichte Berlins im Theodor-Fontane-Archiv ist vollständig für die online-Benutzung freigeschaltet. Ein schöner Anlass, einen Blick auf ihre wertvollen Objekte zu richten und die Geschichte dieser Sammlung zu rekapitulieren. Viele Stücke aus dieser Sammlung sind so interessant, dass sie auch einzeln als Objekte des Monats vorgestellt werden könnten, etwa das Couvert des Briefes von Karl Hermann von Wangenheim vom 27. Oktober 1870 an Theodor Fontane, den Kriegsgefangenen auf der Zitadelle von Besançon, der dem Schriftsteller durch das ganze Land nachgeschickt wurde und ihn schließlich auf der Festung von Château-d'Oléron erreichte.

Hier soll es aber um die Leihgabe als Ganzes gehen. Sie umfasst knapp 200 Objekte in 53 Einzel- bzw. Gruppen-Signaturen. Der erste Teil (VfdGB 1-48) enthält vor allem Korrespondenzstücke an Theodor Fontane, u. a. von Maximilian Harden, Julius Rodenberg, den Wangenheims, Ernst von Wildenbruch und Ernst von Wolzogen. Der zweite Teil (VfdGB 49-53) besteht hauptsächlich aus Briefen, die Fontane selbst an den Verein gerichtet hat, darunter sein Dankschreiben vom 16. Januar 1890 für die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft. Außerdem findet sich hier der Prolog, den der Dichter zur Feier des 25jährigen Bestehens des Vereins am 28. Januar 1890 geschrieben hat.

Auf die Herkunft der Fontane-Autographen aus den Vereinsakten weisen auch einige physische Merkmale hin: Nummerierungen, Seiten- oder Blattzählungen, Stichlöcher für die Fadenheftung. In einem Fall wurde die Benutzung auf dem Schriftstück selbst quittiert. Hans Brendicke, der erste Schriftwart des Vereins, hatte Fontanes Brief vom 4. Januar 1895 für kurze Zeit ausgeliehen, um den Text in den Mitteilungen des Vereins abzudrucken (Nr. 1, 1895, S. 2). Am 15. Januar 1895 gab er ihn zurück, was der erste Vorsitzende Bruno Reuter eigenhändig direkt auf dem wertvollen Dokument vermerkte. Diese Merkwürdigkeit beweist, wie sehr Fontane von dem Verein geschätzt wurde, der ihm anlässlich seines 70. Geburtstags die Ehrenmitgliedschaft verlieh.

Dass gerade diese Teile der Autographensammlung des Vereins für die Geschichte Berlins überliefert sind, ist ein besonderer Glücksfall. Die Vereinssammlungen wurden im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, vieles ist verlorengegangen. Die Leihgabe, die seit November 2021 im Theodor-Fontane-Archiv als Dauerleihgabe des Vereins geführt wird, ist für die Forschung von besonderem Wert, weil die an Fontane gerichteten Briefe Teil des Schriftstellernachlasses sind. Sie wurden am 9. Oktober 1933 auf der Auktion der Berliner Autographenhandlung Hellmut Meyer & Ernst erworben, als Fontanes Nachlass versteigert wurde. Das beweisen nicht nur die verschiedenen Katalogbeschreibungen, sondern auch die handschriftlichen Anmerkungen, die von den Augenzeugen der Auktion in ihren Handexemplaren festgehalten wurden. Charlotte Jolles hat auf den Seitenrändern ihres Exemplars sämtliche Erwerber notiert. Ihre Angaben ließen sich durch die Notizen von anderen Teilnehmern bestätigen.

Demnach ersteigerte der Verein folgende Lose:

457Prolog zur 25jährigen Stiftungsfeier des Vereins für die Geschichte von Berlin
562Gedicht von Paul Heyse an Th. F. (30.12.1889)
583Julius Rodenberg an Th. F. (1890-1896, 20 Briefe, 6 Postkarten)
593Heinrich Seidel an Th. F. (08.12.1873)
599Hermann Sudermann an Emilie Fontane (22.09.1898)
605Gedicht von Ernst von Wildenbruch an Th. F. (1889)
613Briefe an Th. F.: V. Schriftsteller (ca. 130 Briefe)
6335 Brustbilder »Theodor Fontane«
636»Ellora-Diplom«
638Kniebild »Paul Heyse« (08.09.1850)
647Ellora-Orden (Elefant)
648Ellora-Orden für die Damen (Epheublatt, an rotem Bande)
651Rütli-Orden
 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Von Felix Hasselberg geschriebener Inventarzettel zu VfdGB 27: Julie von Massow

Die Sammlung von Berolinensien gehörte von Anfang an zu den erklärten Aufgaben des Vereins. Trotzdem emanzipierte sich die Autographensammlung erst verhältnismäßig spät als eigene Sammlung neben der wertvollen Bibliothek, die schon Fontane für seine märkischen Forschungen nutzte, dem Archiv, der Porträt- und der Kartensammlung. Felix Hasselberg (1893-1945), seit 1923 Bibliothekar des Vereins, war es, der die einzelnen Handschriften, die der Verein besaß, 1924 zu einer Sammlung ordnete. Er schlug dem Verein auch vor, diese Sammlung durch regelmäßige Ankäufe zu ergänzen. Er berichtete regelmäßig in den Vereinszeitschriften über Neuzugänge. In seinem Jahresbericht für 1933 teilte er mit, dass die Autographensammlung des Vereins durch wertvolle Ankäufe aus dem Nachlass Theodor Fontanes wesentlich bereichert wurde. Wahrscheinlich hat er den Verein auch selbst auf der Auktion vom 9. Oktober 1933 vertreten.

Hasselberg war ein leidenschaftlicher und kompetenter Bibliophile. In den Kriegsjahren arbeitete er als Geschäftsführer der traditionsreichen Autographenhandlung J. A. Stargardt. Er wurde 1945 mit dem wertvollen Lagerbestand der Firma nach Ostpreußen geschickt, wo er verschollen ist. Von Hasselberg stammt auch die erste Bestandsübersicht der Autographensammlung des Vereins, die zunächst in den Vereinsschriften, später noch einmal als Separatdruck publiziert wurde. In diesem Katalog sind die Briefe an Fontane, die der Verein 1933 ersteigert hat und die heute den Hauptteil der Dauerleihgabe bilden, bereits verzeichnet. Von Fontane besaß der Verein damals 49 Briefe, 2 davon in den Vereinsakten, sowie den Prolog zur Feier des 25jährigen Bestehens des Vereins. Den größten Teil der Fontane-Autographen, 42 Briefe an Friedrich Wilhelm Holtze, hat der Verein 1931 bei Hellmut Meyer & Ernst gekauft. Ein Teil der Briefe an Holtze befindet sich heute im Deutschen Literaturarchiv Marbach, der Rest ist verschollen.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Beispiel für die von Felix Hasselberg verwendeten Makulaturen des Vereins (Rückseiten der Inventarzettel zu VfdGB 33 Georg Ompteda und VfdGB 23 Johann Kruse)

 

 

 

Hasselberg hat die Neuerwerbungen auch bearbeitet und in die Sammlung eingeordnet. Bei den meisten der Einzelstücke und Konvolute der Leihgabe finden sich heute noch seine Inventarzettel, mit denen er diese Briefe beschrieben hat. Dass Hasselberg diese Zettel geschrieben hat, steht außer Zweifel. Er ist an seiner charakteristischen Handschrift zu erkennen.

Aus Sparsamkeitsgründen hat Hasselberg für seine Inventarzettel die leeren Rückseiten von Makulatur und Posteingängen des Vereins verwendet. Von dieser Nebenüberlieferung lässt sich eine ganze Vereinsgeschichte ablesen. Bei der Sicherheitsverfilmung des Bestandes des Theodor-Fontane-Archivs wurden diese Beilagen nicht berücksichtigt. Sie sind daher auch kein Teil des digitalen Angebots im Internet, können aber an den Originalen vor Ort studiert werden.

Die Wirren des Weltkrieges und der Nachkriegsjahre haben es mit sich gebracht, dass die von der Berliner Stadtbibliothek verwahrten Sammlungen teilweise nicht mehr den ursprünglichen Eigentümern zugeordnet werden konnten. Für die Dauerleihgabe, die das Theodor-Fontane-Archiv 1978 von der Berliner Stadtbibliothek (heute Zentral- und Landesbibliothek) übernommen und mit der Signatur BS erschlossen hat, wurden nach einer Anfrage des Vereins für die Geschichte Berlins im Jahr 2020 die Eigentumsrechte geklärt. Tabea Klaus recherchierte im Auftrag der ZLB im Fontane-Archiv. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, dass nicht nur einzelne Objekte dieser Leihgabe ursprünglich dem Verein gehörten, sondern die gesamte Sammlung. Was mit dieser Sammlung werden soll, darüber waren sich alle Beteiligten schnell einig. Zu den schönsten und festlichsten Terminen des Jahres gehörte die Unterzeichnung des neuen Leihvertrages zwischen dem Verein für die Geschichte Berlins und dem Theodor-Fontane-Archiv am 2. November 2021. Viele Mitglieder des Vereins waren zu diesem Anlass nach Potsdam in die Villa Quandt, den Sitz des Theodor-Fontane-Archivs, gekommen. Sie stellten sich bei der Unterzeichnung bewusst hinter ihren Vorstand. Damit fing ein neues Kapitel an in der langen, schönen, fruchtbaren Kooperation zwischen dem Verein für die Geschichte Berlins und dem Theodor-Fontane-Archiv.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Leihvertragsunterzeichnung am 2. November 2021 zwischen den Vertretern des Vereins für die Geschichte Berlins und dem Theodor-Fontane-Archiv (von links nach rechts am Tisch sitzend: der Schriftführer des Vereins für die Geschichte Berlins Dr. Dietmar Peitsch, der Archivleiter des Theodor-Fontane-Archivs Prof. Dr. Peer Trilcke, der Vorsitzende des Vereins für die Geschichte Berlins Dr. Manfred Uhlitz). Dahinter stehend: die Mitglieder des Vereins für die Geschichte Berlins.

Literatur

Hellmut Meyer & Ernst: Katalog 18. Autographen und Original-Porträts aus Literatur – Wissenschaft – Kunst und Geschichte: Montag, den 5. Oktober 1931 [und] Dienstag, den 6. Oktober 1931. Berlin, 1931.

Hellmut Meyer & Ernst: Katalog 35. Theodor Fontane August von Kotzebue. Zwei deutsche Dichternachlässe. Manuskripte und Briefe sowie Ausgewählte Autographen. Versteigerung Montag, den 9. Oktober 1933. Berlin 1933.

Felix Hasselberg: Jahresbericht des Bibliothekars für 1933. In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, 51. Jg., Heft 1, Berlin 1934, S. 31.

[Felix Hasselberg:] Die Autographensammlung des Vereins für die Geschichte Berlins. Eine Übersicht über den Bestand im Juni 1934. Berlin 1934. Selbstverlag des Vereins für die Geschichte Berlins (Verbesserter Sonderdruck aus dem Beiblatt zur Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, Jg. 1934, Nr. 2 und 3).

Martin Mende: Das Schicksal der Autographen-Sammlung des Vereins für die Geschichte Berlins (VfdGB). In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 117. Jg., Heft 1 (2021), S. 171-175.

Klaus-Peter Möller: Fontanes Briefe an Friedrich Wilhelm Holtze. Zur Überlieferungssituation. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 117. Jg., Heft 1 (2021), S. 167-171.

Tabea Klaus: Bericht einer Spurensuche. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 118. Jg., Heft 1 (2022), S. 341-346.

Empfohlene Zitierweise: Klaus-Peter Möller: »Sammlungsgeschichte(n). Die Dauerleihgabe des Vereins für die Geschichte Berlins im Theodor-Fontane-Archiv«, Blogserie »Objekt des Monats«, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 1.6.2023. URL: www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2023/06/1/sammlungsgeschichten