Photochrom Berlin

Ein Spaziergang auf Fontanes Spuren

von Britta Niemann

Berlin liebt oder hasst man. Zumeist gibt es nichts dazwischen und zuweilen tut man beides zugleich. Der Wahlberliner Fontane teilte diese Hassliebe sechseinhalb Jahrzehnte lang. »Je berlinischer man ist, je mehr schimpft man oder spöttelt man auf Berlin.« Doch wusste er auch um die Vorzüge der großen Stadt und gestand seinem Freund und Kollegen Paul Heyse gegenüber ein: »Wie man auch über Berlin spötteln mag […], das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleugnen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten. Es ist mir Bedürfnis geworden, ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird.« Als Dreizehnjähriger kam Theodor Fontane im Herbst 1833 nach Berlin, um dort – abgesehen von den Aufenthalten in Sachsen und England – bis zu seinem Tod im Jahr 1898 zu leben. In dieser Zeit wurde er unmittelbarer Zeuge vom steten Wandel und Aufstieg Berlins von der preußischen Residenz- zur modernen Haupt- und Weltstadt, mit dem sein schriftstellerischer Werdegang eng verknüpft war und den er umfangreich in seinem literarischen Werk darstellte. »Er schuf Berlin zum zweiten Male«, wie Erich Kästner später anerkennend bemerkte.

Während Fontane schrieb, hielten seine künstlerischen Zeitgenossen den Wandel mit neuen Medien fest. Betrachtet man die Photochrom-Postkarten im Theodor-Fontane-Archiv, werden das Berlin des 19. Jahrhunderts und die Stätten, an denen Fontane wohnte und wirkte, wieder lebendig. Insgesamt befinden sich sieben Stück im Bestand, allesamt gut erhaltene Offset-Drucke, deren Originale um 1905 entstanden sind, mit einem Rechtenachweis des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz. Darüber, wann und wie genau die Postkarten ins Archiv gekommen sind, lässt sich nur mutmaßen, da nähere Informationen gänzlich fehlen, doch wurden sie wahrscheinlich zu Zeiten der Teilung der Stadt wie bessere Andenken verkauft oder waren ein Geschenk. In der ersten größeren gesamtdeutschen Fontane-Ausstellung 1993 in Bonn mit dem Titel Theodor Fontane – Märkische Region & Europäische Welt wurde zumindest eine der schönen Stadtansichten ausgestellt.

Was beim Betrachten so fasziniert, ist die Tatsache, dass man nur schwer unterscheiden kann, ob es sich um Malerei oder Fotografie handelt. Tatsächlich ist das Photochrom-Verfahren ein lithografisches Druckverfahren, das in den 1880er Jahren vom Zürcher Lithografen Hans Jakob Schmidt entwickelt wurde. Grundlage für die bunten Photochrom-Bilder waren Schwarzweiß-Fotografien: Das Negativ wurde auf einen mit einer lichtempfindlichen Asphaltschicht überzogenen Lithostein gelegt, für jede zu druckende Farbe musste ein neuer Stein belichtet werden. Anfänglich verwendete man mindestens sechs Farbsteine, später meist zehn bis achtzehn in ebenso vielen Schritten. Die verwendeten Farben entsprangen dabei der Vorstellungskraft der Drucker, die sich in manchen Fällen an bestehenden Publikationen orientierten oder aber sich vollends auf ihre Fantasie stützten.

Das komplizierte Verfahren wurde von der Zürcher Firma Photochrom zur Marktreife entwickelt und 1889 begann sie mit dem Verkauf von Drucken. 1895 wurde die Firma in Photoglob Zürich umgetauft und produziert bis heute noch als größter Ansichtskartenverlag der Schweiz im Digitaldruck. Das Firmensignet P.Z. für Photochrom und Photoglob Zürich wurde mit Blattnummer und Ortsbezeichnung in Gold aufgedruckt und galt als eine Art Gütesiegel, mit dem man rund um die bunte Welt der Belle Époque in Photochrom reisen konnte. Der Boom der Bilder fand jedoch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein jähes Ende. Wer sich heute einen Eindruck von den vielfältigen bunten Ansichten verschaffen möchte, dem sei die umfangreiche und weltweit größte Sammlung von Photochroms der Zürcher Zentralbibliothek empfohlen: Sie umfasst 10.000 Bilder und ist online zugänglich.

Wer hingegen lieber auf Fontanes Spuren wandeln möchte, der begibt sich jetzt auf einen Spaziergang durch Photochrom Berlin:

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
6797. P.Z. – Berlin. Kurfürstenbrücke & Kgl. Schloss (TFA: AI 609)

»An Sommerabenden lagen wir hier im Fenster und sahen die Spree hinauf und hinunter. Es war mitunter ganz feenhaft und wer dann von der ›Prosa Berlins‹, von seiner Trivialität und Häßlichkeit hätte sprechen wollen, der hätt' einem leid tun können. In dem leisen Abendnebel stieg nach links hin das Bild des Großen Kurfürsten auf und dahinter das Schleusenwerk des Mühlendamms, gegenüber aber lag das Schloß mit seinem ›Grünem Hut‹ und seinen hier noch vorhandenen gotischen Giebeln, während in der Spree selbst sich zahllose Lichter spiegelten.« (Theodor Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig. »Mein Leipzig lob‘ ich mir«)

So schwärmerisch beschreibt Fontane in seinen Erinnerungen den Ausblick aus dem Fenster in der Wohnung Burgstraße 18 – eine seiner ersten Wohnstätten in Berlin von insgesamt siebzehn an der Zahl. Nachdem er anfänglich in einer Schülerpension unweit der Gewerbeschule wohnte, verbrachte er die restliche Realschulzeit bei seinem Onkel August, einem Halbbruder seines Vaters.

Das dreigeschossige Wohnhaus befand sich direkt gegenüber der Spreefront des Stadtschlosses. August Fontane betrieb im Erdgeschoss einen Laden für Malutensilien und im gesamten zweiten Stock lagen die Wohnräume der Familie. Der jugendliche Theodor verlebte hier eine gute Zeit, »da ganz nach [s]einem Belieben«, bis sein Onkel zu Ostern 1835 wegen geschäftlicher Schwierigkeiten als ›Trockenwohner‹ in einen Neubau in der Großen Hamburger Straße ziehen musste. Dort war alles »schon wieder halb verfallen, hässlich und gemein« und sein Zimmer im Erdgeschoss gar so feucht, »dass das Wasser in langen Rinnen die Wände hinunterlief«. Hier sollte er jedoch auch erstmals seiner späteren Frau, Emilie Rouanet-Kummer, begegnen, ein damals zehnjähriges, ziemlich verwildertes Nachbarsmädchen, dem er sich bald sehr verbunden fühlte.

Bild: TFA
17789. P.Z. – Berlin. Friedrichstrasse (TFA: AI 610)

»Und so kam es. Gleich nach 10 Uhr, von wo ab ich frei war, war das Fräulein da. Der noch zurückzulegende Weg war nicht sehr weit, aber auch nicht sehr nah: die ganze Friedrichstraße hinunter bis ans Oranienburger Tor und dann rechts in die spitzwinklig einmündende Oranienburgerstraße hinein, wo die junge Dame in einem ziemlich hübschen, dem großen Posthof gegenüberliegenden Hause wohnte. Da wir beide plauderhaft und etwas übermütig waren, so war an Verlegenheit nicht zu denken und diese Verlegenheit kam auch kaum, als sich mir im Laufe des Gesprächs mit einem Male die Betrachtung aufdrängte: ›ja, nun ist es wohl eigentlich das beste, dich zu verloben.‹« (Theodor Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig. Fritz, Fritz, die Brücke kommt)

Auf einem nächtlichen Stadtspaziergang am 8. Dezember 1845 schritt Fontane dann wortwörtlich zu seiner Verlobung. Zuvor, in den Nachmittagsstunden des Tages, hatte er einen zierlichen Brief von der 21-jährigen Emilie erhalten, indem sie ihn höflichst bat, sie nach der Geburtstagsfeier seines Onkels nach Hause zu begleiten. Da Fontane selbst durch seinen Dienst bis in die Nacht verhindert war, wollte sie sich zunächst bis zu seiner Polnischen Apotheke bringen lassen und sich dann für den Rest des Weges ihm anvertrauen. Die Polnische Apotheke lag in der Friedrichstraße 153a/Ecke Mittelstraße und gehörte dem Medizinalrat Julius Eduard Schacht. Nach Beendigung seiner Militärzeit, von Juni 1845 bis Juni 1846, arbeitete und wohnte Theodor Fontane hier im Haus des Prinzipals, ganz wie es den damaligen Gepflogenheiten entsprach.

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18327. P.Z. – Berlin. Schloss & Schlossbrücke (TFA: AI 611)

[…] ich geh nicht gern in Schlösser. So eigentlich gehört man doch da nicht hin.

Theodor Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig. »Der achtzehnte März«

Diesen Satz bemerkte Fontanes Vater, bei seinem Berlin-Besuch am 21. März 1848 – unmittelbar nach den Barrikadenkämpfen der Märzrevolution. Er hätte aber ebenso gut von ihm selbst stammen können. In der Vormärzzeit übersetzte Fontane Verse englischer Arbeiterdichter und 1848 bat er seinen Freund Lepel um einen »Muskedonner«, da die Konterrevolution »Wort und Tat« verlange. Zeit seines Lebens lehnte er alles Bourgeoishafte ab, diese »Geldsackgesinnung« und »Verrohung« waren ihm zuwider. Mit seinem Roman Frau Jenny Treibel entwarf er dann auch eine »humoristische Verhöhnung unsrer Bourgeoisie mit ihrer Redensartlichkeit auf jedem Gebiet« und seiner Tochter Martha bekannte er 1891 gegenüber: »Ich hasse das Bourgeoishafte mit einer Leidenschaft, als ob ich ein eingeschworner Sozialdemokrat wäre.«

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8686. P.Z. – Berlin. Gendarmenmarkt - Schillerplatz (TFA: AI 551)

»Am andern Tage [7. August 1879] war ich in Berlin, und ein paar Tage später begannen die Vorstellungen, und ich nahm meinen Kritikerplatz ein. Dies war damals Nr. 23. Schon eine merkwürdige Zahl. In überfüllten Hotels bin ich fast immer in Nummer 23 untergebracht worden und habe da Schreckliches erlebt. Das kann ich nun von Nummer 23 im Schauspielhaus nicht eigentlich sagen, ich habe da viel angenehme Stunden zugebracht, aber ein merkwürdiger Platz war es doch auch […]. Für den Eitlen war Nummer 23 ein kurulischer Stuhl, für den weniger Eitlen ein Armesünderbänkchen. Denn man bilde sich nur nicht ein, daß ein Theaterkritiker ein Richter ist, viel öfter ist er ein Angeklagter. ›Da sitzt das Scheusal wieder‹, habe ich sehr oft auf den Gesichtern gelesen.« (Theodor Fontane, Kritische Jahre – Kritiker-Jahre)

Fontanes mitunter scharfe Zunge oder auch Berliner Schnauze, wie man heutzutage sagen würde, zeigte sich vor allem in seiner Tätigkeit als Theaterkritiker. Von 1870 bis 1890 berichtete er regelmäßig für die Vossische Zeitung über die Aufführungen des Königlichen Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt. Der Verriss von Star-Schauspieler Dörings Malvolio-Darstellung brachte ihm sogleich die ironische Betitelung als »Theater-Fremdling« ein – in Anspielung auf seine Kritiker-Chiffre Th.F. Doch konnte er selbst darüber lachen und empfand die eigentliche Herabsetzung sogar als »ein Lob, eine Ehrenerklärung«. Dass er keiner war, zeigte sich in den rund 1800 Seiten Berliner Theatergeschichte, die er in den Jahren schrieb, getreu dem Motto: »Schlecht ist schlecht, und es muß gesagt werden.«

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1859. P.Z. – Berlin. Nationalgalerie. Friedrichsbrücke (TFA: AI 612)

»Heute vormittag war ich von 12 bis 3 in der National-Galerie, deren erste Hälfte ich neulich bloß besprochen habe, und ging bei hellem Sonnenschein zurück.« (Brief an Emilie Fontane, geb. Rouanet-Kummer, 4. Juni 1878)

Dass Fontane auch als Kunstkritiker tätig war, ist eher wenig bekannt. Doch bildete die Beschäftigung mit Kunst eine stete Konstante in seinem Leben. Von 1850 bis 1895 erschienen seine kunstkritischen Texte in insgesamt zehn Zeitungen und Fachzeitschriften, wovon die meisten während seiner Festanstellungen bei der Kreuzzeitung sowie Vossischen Zeitung entstanden sind. Insgesamt verfasste er über hundert Artikel, wobei die Berichte zu den biennalen Berliner Kunstausstellungen besonders umfangreich ausfielen. Darüber hinaus war die bildende Kunst auch immer Thema in zahlreichen anderen Schriften Fontanes und seine Äußerungen umfassten nicht nur Ausstellungskritiken, sondern auch Künstlerbiografien, Rezensionen, kunsthistorische Werke sowie Herausgeberschaften. Seinen letzten journalistischen Artikel verfasste er 1895 – eine Würdigung von Adolph Menzels Werk.

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6793. P.Z. – Berlin. Platz am Opernhaus (TFA: AI 613)

»[…] und als die Ouvertüre zu Ende geht, fühle ich deutlich, ›noch 3 Minuten und Du fällst ohnmächtig oder todt vom Sitz!‹ Also wieder ‘raus. Ich war der Letzte gewesen, der sich an 40 Personen vorbei bis auf seinen Platz, natürlich neben der ›Strippe‹, durchgedrängt hatte und das war jetzt kaum 10 Minuten. Und nun wieder ebenso zurück. Ich war halb ohnmächtig, aber ich that so, als ob ich’s ganz wäre, denn die Sache genirte mich aufs äußerste. Gott sei Dank, wurde mir auf mein Pochen die Thüre geöffnet und als ich draußen war, erfüllte mich Preis und Dank.« (Brief an Karl Zöllner, 19. August 1889)

So sehr Fontane die Bildende Kunst und das Theater liebte, so sehr war ihm die Oper fremd. Mit Ausnahme seines Besuchs der Bayreuther Parsifal-Aufführung im Juli 1889, die er fluchtartig bereits nach der Ouvertüre verließ, ist er selbst wohl nie in der Oper gewesen.

Er befasste sich zwar intensiv mit Wagners Texten, doch war sein musikalisches Verständnis eher wenig ausgeprägt und sein abschließendes Urteil dementsprechend negativ und wenig schmeichelhaft. Doch spielten die Oper und die Musik bei seinen weiblichen Romanfiguren eine wichtige Rolle – bedingt durch die Etikette der Zeit, in der Damen sangen oder spielten. In gleich mehreren Romanen streute Fontane kenntnisreich Mozartzitate in die Konversation ein und im Stechlin schilderte er Wagners Tristan und Isolde als das Berliner Opernereignis der Saison. Über das Königliche Opernhaus in Berlin befand er allerdings nur allgemein und trocken, dass man sich darin »immer erkältet«.

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14303. PH. M. Berlin. Potsdamer Brücke (TFA: AI 483)

»Ich flaniere gern in den Berliner Straßen, meist ohne Ziel und Zweck, wie's das richtige Flanieren verlangt […]. China lag mir ohnehin an meiner täglichen Spaziergangslinie, die, mit der Potsdamer Straße beginnend, am jenseitigen Kanalufer rechts entlangläuft und dann unter Überschreitung einer der vielen kleinen Brücken von größerem oder geringerem (meist geringerem) Rialtocharakter am Tiergarten hin ihren Rücklauf nimmt, bis der Zirkel an der Ausgangsstelle sich wieder schließt.« (Theodor Fontane, Auf der Suche. Spaziergang am Berliner Kanal)

Der Ausgangspunkt für Fontanes täglichen Spaziergang am Landwehrkanal lag in der Potsdamer Straße 134c, seiner letzten Wohnstätte, die er im Herbst 1872 bezog und bis zu seinem Lebensende behielt. Sie hatte fünf Zimmer, wovon sein Arbeitszimmer das größte ausmachte und an dessen Schreibtisch er alle seine Romane schrieb. Hier erlebte er auch unmittelbar den Aufstieg Berlins zur Reichshauptstadt mit, mit all seinen sozialen, politischen und technischen Veränderungen. Wie auch die Eröffnung der nach Schöneberg fahrenden Pferdebahn 1879, die 1897 durch die elektrische Straßenbahn abgelöst wurde. Berlin war nun ganz und gar Metropole geworden und Fontane berlinischer denn je:

Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich, aber eine gewisse Schusterhaftigkeit bleibt, die sich vor allem in dem Glauben ausspricht: ›Mutters Kloß sei der beste‹. Dabei gibt es hier […] überhaupt nichts Bestes; es gibt in Berlin nur Nachahmung, guten Durchschnitt, respektable Mittelmäßigkeit, und das empfinden alle klugen Berliner, sowie sie aus Berlin heraus sind.

Brief an Georg Friedlaender, 14. Mai 1894

Weiterführende Literatur

Hans-Werner Klünner: Theodor Fontanes Wohnstätten in Berlin. In: Fontane Blätter Bd. 4, Heft 2 (1977), S. 107–134.

Bernd W. Seiler: Fontanes Berlin: Die Hauptstadt in seinen Romanen, Berlin 2010.

Daniela Wegmann, Marc Walter und Sabine Arque: P.Z.Photoglob Zürich - Jubiläumsbuch: 125 Jahre Innovation Photochrom, Zürich 2014.