Lyrisches Fontane-Porträt

Julius Babs »Lyrische Porträte« von 1912

von Clara Funk

In dem unscheinbaren blauen Bibliothekseinband hat ein Büchlein mit dem Titel Lyrische Porträte von Julius Bab im Theodor-Fontane-Archiv überdauert. 1912 im S. Fischer-Verlag erschienen, beinhaltet es in sieben Kapitel Portraitgedichte über verschiedene Persönlichkeiten aus Politik, Literatur und Musik. Darunter: Erasmus, Luther, Kant, Lessing, Goethe, Napoleon, Kleist, Zola und Fontane.

Vielleicht könnte man diese Form von Gedichten als eine Art popkultureller Wissensvermittlung avant la lettre bezeichnen. Sie sind mit Sicherheit eine Selbstreflexion und Einordnung eines Autors, der sich mit denen, die ihn beeinflusst haben, lyrisch auseinandersetzt. Gute 120 Jahre später erscheint allein das Inhaltsverzeichnis als Abbild eines deutschen und jüdischen Bildungskanons und kann Aufschluss über eine vergangene und von den Nationalsozialisten gewaltvoll gebrochene Tradition geben. Was zu den Fragen führt, wer Julius Bab war und was er über Theodor Fontane dichtete?

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Inhaltsverzeichnis von Julius Bab: Lyrische Porträte. 1912.
 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Leo Baeck Institute
Der Theaterkritiker und Autor Julius Bab, Leo Baeck Institute, F 1887

Julius Bab, 1880 in Berlin geboren und 1955 in Roslyn Heights, New York, gestorben, war Kulturjournalist, insbesondere Theaterkritiker, Dramaturg und Autor – teilte also Fontanes Professionen. Er verfasste insbesondere zahlreiche Biografien von Schauspielerinnen und Schauspielern, etwa eine über Adalbert Matkowsky (Kainz und Matkowsky, Berlin, 1912), dessen Auftritte Fontane besprochen hatte. 1932 schrieb Bab in einem Artikel über »Theodor Fontane, der einen so bedeutenden Platz in der Literaturgeschichte einnimmt, wie sehr wenige seiner Berufsgenossen«, dass er Stücke mit Matkowskys meist negativ besprach.

Des Weiteren war Bab im Besitz eines Briefs, den Theodor Fontane an Leo Berg schrieb, in dem dieser dankend die Mitarbeit »an einer zu begründenden dramaturgischen Wochenschrift« ablehnt. Leo Berg (1862-1908) gründete mehrere Zeitschriften, etwa die Litterarischen Volkshefte oder plante deren Gründung, für die er neben anderen auch Fontane ansprach. Er selbst publizierte zu moderner Literatur und zu Sexualität.

Den Brief wiederum druckte der »Fontane Abend« 1928 in einer nummerierten bibliophilen Ausgabe von 250 Stück und widmete ihm dem »Berliner Bibliophilen Verein« und dessen Vorsitzenden. Das Exemplar mit der Nummer 250 dieses Drucks befindet sich im Bestand des Theodor-Fontane-Archivs. Über weitere jüdische Mitglieder des »Fontane-Abends« hat Lothar Sommer in den Fontane Blättern geschrieben.

Für Babs Selbstverständnis als Deutscher und als Jude nehmen Goethe und Spinoza zentrale Positionen ein, was sich sogar in dem kleinen Gedichtband zeigt. Über Goethe verfasste Bab vier Gedichte, und seinem eigenen Gedicht über Spinoza stellt Bab eine fingierte Antwort des von ihm gern gelesenen Philosophen zur Seite, in dem sich dieser über das Gedicht von Bab beschwert. So fließt in die kurzen Gedichte etwas Charakteristisches der Person oder des Werks ein. Häufig versucht Bab die Sprache der Autorin oder des Autoren nachzuempfinden – bei Fontane in Paarreimen fast so klar wie der Stechlin.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Julius Bab: Lyrische Porträte, Berlin 1912, S. 48f.

Auf diesen letzten Roman Fontanes bezieht sich auch das Gedicht. Die erste vierzeilige Strophe bringt die Lesenden, analog zum Beginn des Romans, in die Landschaft Stechlin. Die dritte Strophe folgt dieser beinahe filmischen Einstellung und Reihenfolge und beschreibt dann das Gutshaus Stechlin »Der steinerne Kasten ist eckig und schlicht,« entspricht Dubslavs Aussage »›Für die ist es ein ›Schloß‹, aber sonst ist es ein alter Kasten und weiter nichts.‹«. Auch die marode Rampe findet Erwähnung, ebenso die »große blanke Glaskugel«, die Bab sich aber als zwei Schusterkugeln vorstellt. In der zweiten Strophe setzt Bab den alten Fontane in dessen eigene Romanlandschaft »ein preußisch Gebäude, nicht prächtig, noch laut./ Das hat sich der Theodor Fontane gebaut.« und verwebt so weiter den Autor und dessen Werk in seiner eigenen Lyrik. Die letzte Strophe kehrt zurück zur Landschaft der Gegenwart der Lesenden, was 1912 und auch heute noch funktioniert. Man wird aufgefordert nach ihm – also Theodor Fontane –  zu fragen: »ihr müßt nur suchen!«.

Literatur

Julius Bab: Lyrische Porträte. Berlin 1912.

Im Netzwerk der Moderne: Leo Berg. Briefwechsel 1884-1891. Kritiken und Essays zum Naturalismus. Hg. Peter Sprengel. Bielefeld, 2010.

Empfohlene Zitierweise: Clara Funk: »Lyrisches Fontane-Porträt«, Blogserie »Objekt des Monats«, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 1.11.2023. URL: www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2023/11/1/lyrischer-fontane