Erinnerungsstück

Das Widmungs-Foto für Adele und Hugo Sonnenthal

Von Klaus-Peter Möller

 

Dieses wertvolle Erinnerungsstück, ein Porträtfoto mit eigenhändiger Widmung Theodor Fontanes an Adele und Hugo Sonnenthal, hat die Wirren der Zeiten im Besitz der Familie überdauert. Jetzt haben die Erben es dem Theodor-Fontane-Archiv geschenkt, wo es zukünftig an Fontanes Bekanntschaft mit Adele und Hugo Sonnenthal erinnern soll. Im Namen aller an Fontane Interessierten danken wir Peggy Häggqvist aus Täby in Schweden!

Das Brustbild im carte de visite-Format zeigt den 70jährigen Schriftsteller im Halbprofil nach links. Die Haare sind über der Stirn nach hinten gekämmt, Haaransatz und Schläfen sind weiß geworden, auch der Oberlippenbart, der den Mund vollständig bedeckt. Dunkle Schatten liegen unter den Augen, Mühe und Sorgen haben tiefe Falten in den Augenwinkeln hinterlassen, eine davon zieht sich über die ganze Wange. Im Augenwinkel ist ein geplatztes Äderchen zu erkennen. Zweifellos hielt Fontane diese Aufnahme für gelungen. Er hätte sonst keine Reproduktionen davon bestellt.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
»Zu freundlicher Erinnerung an Kissingen. Th. Fontane«. Fontanes eigenhändige Widmung an Adele und Hugo Sonnenthal

Mit großen, schwungvollen Buchstaben hat er die Widmung auf die Rückseite des Fotokartons geschrieben: »Zu freundlicher Erinnerung an Kissingen. Th. Fontane«. Dass sich diese Worte an Adele und Hugo Sonnenthal richten, wissen wir durch die persönliche Mitteilung der Urenkeltochter, Peggy Häggqvist.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Stiftung Stadtmuseum Berlin
Theodor Fontane an Adele Sonnenthal. Berlin, 31. Dezember 1894 (Couvert) Berlin, Stiftung Stadtmuseum: SM 2010-0073

Die Sonnenthals hat Fontane 1890 während seines zweiten Kuraufenthaltes in Bad Kissingen kennengelernt. In der Folge entspann sich eine kleine Korrespondenz, die Hans-Jürgen Beck demnächst in den Fontane Blättern vorstellen und ausführlich erläutern wird. Auf der Internetseite der Stadt Bad Kissingen hat er eine umfassende, materialreiche Chronik jüdischen Lebens in Bad Kissingen veröffentlicht. Fontanes Briefe vom 2. Januar 1891 und vom 31. Dezember 1894 werden heute in der Stiftung Stadtmuseum zu Berlin verwahrt. Mit Hilfe der Kurlisten gelang Beck der Nachweis, dass der Brief vom 25. Juni 1891, der 2019 bei Stargardt versteigert wurde, vermutlich auch an die Sonnenthals gerichtet ist. Aufhorchen lässt Fontane-Leser die Information, dass Adele Sonnenthal, die Frau des Dessauer Kommerzienrates Hugo Sonnenthal, eine passionierte Sängerin war. Schon Roland Berbig hat in seiner Chronik darauf hingewiesen.

Wörtlich schrieb Fontane in seinem Brief an Hugo Sonnenthal vom 2. Januar 1891: » … es ist bei mir, wenn ich eine Sängerin höre, eine beinah stehende Wendung geworden ›da sang doch die liebenswürdige Commerzienräthin in Kissingen ganz anders; die hatte eine Stimme.‹«

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Wirtschaftsbuch der Familie Fontane, 24. September 1889, Potsdam, Theodor-Fontane-Archiv, Signatur: G 2, 7, Bl. 17r.

Wann genau und aus welchem Anlass Fontane den Sonnenthals das Foto geschickt oder überreicht hat, geht aus den erhaltenen Briefen nicht hervor. Es handelt sich um eine Porträtfoto aus dem Berliner Studio des Fotografen Julius Cornelius Schaarwächter (1847-1904). Anhand der Aufdrucke auf der Rückseite des Untersatzkartons lässt sich das Foto auf etwa 1889 datieren. Im Haushaltsbuch der Familie hielt Emilie Fontane unter dem 24. September 1889 fest: »Papas Photographie 3 Mk.« Dass Fontane im Vorfeld seines 70. Geburtstages einen Besuch beim Fotografen machte, hängt sicher mit der starken Nachfrage nach Bildern zusammen. Die Medien feierten den Schriftsteller anlässlich seines Jubiläums als einen bedeutenden Zeitgenossen. Ob Fontane an diesem Tag seinen Atelierbesuch bei Schaarwächter absolvierte oder nur Bilder abholte, geht aus der Eintragung nicht hervor. War Fontane einfach überarbeitet, stand ihm der Kummer im Gesicht geschrieben? Es war Georges 2. Todestag. Fontanes ältester Sohn war am 24. September 1887 im Alter von 36 Jahren gestorben.

Die Fotografie hatte sich im 19. Jahrhundert stürmisch zu einem neuen künstlerischen Medium entwickelt, das etwa seit der Mitte des Jahrhunderts enorme Popularität erlangte. Dazu trug sicher auch die Preisentwicklung bei.

Die künstlerischen Porträt-Fotografien erfüllten offenbar das große Bedürfnis, eine ausreichende Anzahl von Bildern von Personen zu erschwinglichen Preisen zu liefern. Die Kunden konnten sich für Fotos im Kabinettformat (ca. 10 × 15 cm) oder im carte de visite-Format (ca. 6 x 9 cm) entscheiden. Das kleinere Format war besonders preiswert. Technische Neuerungen an den Kameras erlaubten es, die Fotoplatten (Negative) so aufzuteilen, dass mit einer Platte 2 x 4 Aufnahmen gemacht werden konnten. Deshalb finden sich nicht selten mehrere Motive, die bei einem Atelierbesuch aufgenommen wurden. Die Fotografen archivierten die Platten, so dass bei Bedarf Exemplare nachbestellt werden konnten. Die Rückseiten der Untersatzkartons nutzten die Fotografen als aufwendig gestaltete Werbefläche.

Das Widmungsexemplar für Adele und Hugo Sonnenthal gehört zu einer Serie von vier Aufnahmen.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Potsdamer Straße, Stadtplan von Straube 1910 (HistoMapBerlin)

 

Schaarwächter, in Amsterdam geboren, gründete 1872 seine Firma in Berlin als Photographisch-artistisches Atelier und photographischer Kunstverlag, zunächst in der Friedrichstraße, ab 1886 war der Firmensitz in der Leipziger Straße 130. 1889 eröffnete Schaarwächter ein zweites Atelier in der Potsdamer Straße 6. Das lag praktisch für Fontane schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite.

Mehrere Motive der Serie von Porträtfotos aus dem Studio von Schaarwächter sind durch Reproduktionen in Zeitungen und Zeitschriften überliefert, weil Fontane im Umfeld seines 70. Geburtstages und auch in den folgenden Jahren wiederholt auf diese Aufnahmen zurückgegriffen hat. Eine der Aufnahmen (Nr. 1) wurde als Heliogravure zu der von Emil Dominik begründeten Ausgabe Gesammelte Romane und Novellen als Frontispiz geliefert. Einen Abzug (von Nr. 4) schenkte Fontane seinem Rechtsanwalt Paul Meyer am 7. Mai 1890 mit einer persönlichen Widmung voller Selbstironie, die Meyers Erben 1936 dem Privatdruck von dessen Erinnerungen voranstellten:

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
»Au Brave des Braves. Dem Einzigen, der so tapfer gewesen Meine opera omnia durchzulesen in Dankbarkeit und Bewunderung Berlin Th. Fontane. 7. Mai 90.« Paul Meyer: Erinnerungen an Theodor Fontane 1819-1898, Potsdam, Theodor-Fontane-Archiv: Q 100
 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Edmund Brüning: Veteranen der Berliner Presse. In: Das litterarische Berlin. Illustriertes Handbuch der Presse in der Reichshauptstadt, hrsg. von Gustav Dahms. Berlin o. J. [1895]. Potsdam, Theodor-Fontane-Archiv: 2001/16.

 

 

Noch am 11. Juli 1894 schickte Emilie Fontane eines dieser Bilder als Beilage zu einer persönlichen Einladung an einen unbekannten Adressaten. Dieses Exemplar trägt auf der Schauseite die Prägung 1892. Zu dem Zeitpunkt wurden also offenbar noch einmal Abzüge nachbestellt. Nicht zuletzt trugen die Mitteilungshefte der Theodor Fontane Gesellschaft seit den 1990er Jahren bis 2019, fast 30 Jahre lang, ein Foto dieser Serie (Nr. 4) auf dem Umschlag. Besonders dekorativ ist das 1895 von Edmund Brüning gestaltete Blatt Veteranen der Berliner Presse für das von Gustav Dahms herausgegebene Presse-Handbuch Das litterarische Berlin. Für das Porträt Fontanes diente ihm ein Abzug von Nr. 3 als Vorlage.