Briefschwärmerei mit System
Das Hanser-Briefverzeichnis und die Briefdatenbank des Theodor-Fontane-Archivs
von Sabine Seifert
Briefe sind für die Literaturwissenschaft eine besonders aufschlussreiche Quelle und geben einen direkten Einblick in das Denken und Arbeiten von Autorinnen und Autoren, in ihren Alltag und ihren zeitgeschichtlichen Kontext. Die literarische Qualität und stilistische Brillanz der Briefe Theodor Fontanes, dem begeisterten »Briefschwärmer« (Fontane an Wilhelm Gentz, 3. Mai 1889), machen sie auch heute noch zu einem großen Lesevergnügen. Sie spiegeln Fontanes literarisches Selbstverständnis, seine politischen Ansichten und eröffnen neue Perspektiven auf sein privates und gesellschaftliches Netzwerk. In seinen Briefen ließ sich Fontane immer wieder zu unterhaltsamen, essayistischen Ausführungen hinreißen und präsentierte reizvolle Miniaturen von Charakteren und Beobachtungen. Schon Thomas Mann, hingerissen von der Lektüre der Briefe an seine Freunde, fragte in seinem Essay Der alte Fontane: »Sind noch mehr da? Man soll sie herausgeben!« (zit. nach Reuter, Fontane, S. 899). Ein Großteil der Korrespondenzen von Theodor Fontane wird im Theodor-Fontane-Archiv aufbewahrt.
Das Hanser-Briefverzeichnis – Ein Grundlagenwerk für die Fontane-Forschung

Im Jahr 1988 erschien im Hanser-Verlag das monumentale Werk Die Briefe Theodor Fontanes. Verzeichnis und Register, das in der Forschung als ›Hanser-Briefverzeichnis‹ (HBV) bezeichnet wird. Herausgegeben von Charlotte Jolles und Walter Müller-Seidel, dokumentiert es in beeindruckender Detailgenauigkeit über 5.800 erhaltene und überlieferte Briefe Fontanes. Das Werk dient als systematisches Verzeichnis der gesamten Briefüberlieferung: von den frühesten Briefen Fontanes aus den 1830er Jahren bis zu den letzten Schriftstücken vor seinem Tod 1898.
Das HBV bietet zu jedem Brief von Fontane grundlegende Angaben: Empfänger, Datum und Ort, Aufbewahrungsort des Originals bzw. einer Abschrift sowie Hinweise zu Editionen. Die in den Briefen erwähnten historischen und zeitgenössischen Personen, Werke und Zeitungen/Zeitschriften werden genannt und in umfassenden Registern aufgeführt. Durch eine systematische Nummerierung, der HBV-Nummer, ist jeder Brief eindeutig identifizierbar und zitierfähig. Als bibliographisches und dokumentarisches Instrument bildet das HBV die Grundlage für jede vertiefte Beschäftigung mit Fontanes Korrespondenz – sei es für editorische Arbeiten, literaturgeschichtliche Studien oder biographische Recherchen.
Dieser Kenntnisstand vom Erscheinungsjahr 1988 wurde in den folgenden Jahrzehnten im Fontane-Archiv konstant gepflegt und erweitert. Mit Erscheinen neuer Forschungsarbeiten und Editionen und durch Hinweise von (nicht nur) Fontane-Forscher/innen können viele Angaben ergänzt und korrigiert werden. Unbekannte Empfänger oder Absendedaten können identifiziert und Aufbewahrungsorte von Briefen hinzugefügt werden. Es tauchen auch immer wieder verschollene oder der Forschung bisher gänzlich unbekannte Korrespondenzstücke im Autographenhandel auf, deren Angaben ebenfalls im Fontane-Archiv erfasst werden.
Das besondere Hand-Exemplar des HBV von Anita Golz

Ein besonderer Schatz, den das Fontane-Archiv bewahrt, ist das persönliche Hand-Exemplar des HBV von Anita Golz, der 1993 verstorbenen Literaturwissenschaftlerin und Fontane-Herausgeberin. Während ihrer Arbeit an der dreibändigen Gedicht-Ausgabe des Aufbau-Verlags im Rahmen der Großen Brandenburger Ausgabe sah sie alle Briefe Fontanes auf Erwähnungen von Gedichten durch. Diese wie auch später gefundene Ergänzungen und Korrekturen verzeichnete sie mit akribischer Genauigkeit in ihrer HBV-Ausgabe. Mit Bleistift und schwarzem Stift fügte sie in sehr feiner Schrift auf nahezu jeder der knapp 1000 Seiten Notizen hinzu und klebte Zettel im Register zu den erwähnten Gedichten und Romanen ein, wenn der Platz nicht reichte. Diese handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen zum HBV sind in die vom Fontane-Archiv seit 2019 digital geführte und auf der Website publizierte Briefdatenbank eingegangen.
Anita Golz hatte ihr Exemplar ihrem Fontane-Forscherkollegen Walter Hettche als persönliches Geschenk übereignet, der bereits am HBV mitgearbeitet hatte und sich danach der Herausgabe von Fontanes Briefen widmete. Dieses persönliche und wertvolle Handexemplar befand sich seit Anfang der 2020er Jahre leihweise im Fontane-Archiv und wurde nun vom Eigentümer Walter Hettche in einer Schenkung als besonders schöne Geburtstagsgabe zum 90-jährigen Bestehen des Archivs überreicht. Hier gehört es nun zum Teilnachlass von Anita Golz, der sich seit 1996 mit zwei Archivboxen und einem Karteikasten im Fontane-Archiv befindet.
Die digitale Briefdatenbank – Forschen, Stöbern, Vernetzen
Die digitale Briefdatenbank des Fontane-Archivs basiert auf den Einträgen des HBV und den im Archiv umfassend gesammelten Ergänzungen und Korrekturen, geht aber in vielerlei Hinsicht weit darüber hinaus. Sie erlaubt eine komfortable Suche nach Absendern und Empfängern, Datumsangaben, Personen und Orten, Schlagwörtern oder Aufbewahrungsorten. Die Einträge sind mit weiteren digitalen Diensten des Archivs verknüpft, zum Beispiel mit der Digitalen Handschriftensammlung, in der die Digitalisate des Briefs online eingesehen werden können, oder mit der Fontane Bibliographie, die Angaben zu Editionen des entsprechenden Briefes bietet. Auch die Fontane Chronik, die zu den Briefen Fontanes an andere auch Briefe an ihn enthält, verweist per Link (ermöglicht durch die HBV-Nummer als eindeutigen Identifier) auf den entsprechenden Eintrag in der Briefdatenbank.
Wenn man etwa in der Chronik stöbert und sich beim Eintrag zum 1. Dezember 1884 für den Brief Fontanes an seinen Sohn Friedrich interessiert, wird man per Link über die in der Fußnote angegebene HBV-Nr. 84/139 (in der Chronik FBV genannt) direkt zum entsprechenden Eintrag in der Briefdatenbank geleitet. Hier finden sich weitere Informationen zum Brief, beispielsweise dass Theodor Fontane ebenfalls den Sohn George und andere erwähnte. Von diesem Eintrag gelangt man über die Angabe »Handschrift TFA« einerseits zum entsprechenden Eintrag in der Digitalen Handschriftensammlung, der ein hochauflösendes Digitalisat und weitere Angaben zum Brief bietet. Andererseits werden im Eintrag der Briefdatenbank unter der Rubrik »Druck« zwei Veröffentlichungen genannt, in denen dieser Brief bereits gedruckt vorliegt. Bei Anklicken der Links erhält man in der Fontane Bibliographie die vollständigen bibliographischen Angaben, z.B. einen Aufsatz in den Fontane Blättern. Da die Fontane Blätter retrodigitalisiert im Portal Digitales Brandenburg vorliegen, kommt man von der Bibliographie erneut per Klick direkt zum edierten Text, den man sich zudem als PDF herunterladen kann. Durch die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung unterschiedlicher Ressourcen zu Fontane wird dessen Korrespondenz nicht nur bequem durchsuchbar, sondern auch umfassend kontextualisiert.
Besonders wertvoll ist die Briefdatenbank durch ihre laufende Aktualisierung. Neu aufgefundene Briefe, veränderte Zuschreibungen oder neue Erkenntnisse können unmittelbar eingepflegt werden. So wächst die Datenbank dynamisch weiter. Für die Fontane-Forschung ist damit ein Werkzeug entstanden, das zugleich präzise, flexibel und offen für Weiterentwicklung ist. Aber auch die interessierten Leserinnen und Leser lädt die Briefdatenbank ein, in Fontanes Leben und Werk auf neue Weise einzutauchen, und gewährt spannende Einblicke: Wer war Elise Fontane? An wen richtete sich Fontanes Kritik an der preußischen Gesellschaft? Welche Beziehung hatte er zu seinen Verlegern, Freunden oder Kritikern? Die Briefe geben Antwort – und die Datenbank macht sie auffindbar.
Denn in meinem eigensten Herzen bin ich geradezu Briefschwärmer
Entdecken Sie Fontanes Briefe selbst – in der Briefdatenbank und in unserer Digitalen Handschriftensammlung.
Literatur
Charlotte Jolles und Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Die Briefe Theodor Fontanes. Verzeichnis und Register. Bearbeitet von Rainer Bachmann, Walter Hettche und Jutta Neuendorff-Fürstenau. München: Hanser, 1988. XXV, 943 S. (=HBV).
Gotthard Erler: In memoriam Anita Golz. In: Fontane Blätter 56 (1993), S. 120.
Wulf Wülfing: Anita Golz zum Gedenken. In: Mitteilungen der Theodor Fontane Gesellschaft e.V., Potsdam 6 (Februar 1994), S. 22.
Peer Trilcke, Anna Busch, Sabine Seifert: Vom Ausbau des Digitalen Archivs. Neue digitale Dienste des Theodor-Fontane-Archivs. Chronik und Briefdatenbank. In: Fontane Blätter 111 (2021), S. 174–183.
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Seifert: Briefschwärmerei mit System. Das Hanser-Briefverzeichnis und die Briefdatenbank des Theodor-Fontane-Archivs, Blogserie Objekt des Monats. Hrsg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 18.8.2025. URL: https://www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2025/08/18/briefschwaermerei-mit-system