Album unfreiwilliger Komik

Eine Neuerwerbung des Theodor-Fontane-Archivs

von Rainer Falk

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Ein Exemplar des ›Albums unfreiwilliger Komik‹ in der 11. Auflage von 1894

1894 erschien im Berliner Verlag Richard Eckstein Nachfolger die bereits 11. Auflage eines Werks mit dem Titel Album unfreiwilliger Komik, eine Sammlung sinnentstellender Druckfehler, Stilblüten und Verschreiber, die ein nicht namentlich genannter Herausgeber aus der zeitgenössischen Tagespresse – aus Annoncen, Nachrichten, Meldungen, Berichten, aber auch aus Fortsetzungsromanen – zusammengeklaubt hatte. Wie die Auflagenzahl belegt, scheint die Publikation den Humor eines größeren Publikums getroffen zu haben, das sich etwa über das Versprechen einer Anzeige in der Berliner Gerichtszeitung (Nr. 89, 1875) zu amüsieren vermochte: »Magen- und Lungenleidende werden sicher beseitigt.«

Auch Theodor Fontane wurde die fragwürdige Ehre zuteil, in diese Sammlung aufgenommen zu werden, und zwar mit einem Zitat aus seinem Roman Irrungen Wirrungen, der zwischen dem 24. Juli und 23. August 1887 als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung erschienen war. Die darin erzählte Liebesgeschichte zwischen dem Offizier Botho von Rienäcker und der Schneidermamsell Lene Nimptsch findet bekanntlich in einer gemeinsamen Übernachtung des unverheirateten Paares in einem Gasthof außerhalb Berlins ihren Höhepunkt – eine Szene,  die Fontane mit folgendem Satz ›abblendet‹: »Und sie schmiegte sich an ihn und blickte, während sie die Augen schloß, mit einem Ausdruck höchsten Glückes zu ihm auf.« Dem Pressewirbel, der um diesen ›Blick mit geschlossenen Augen‹ entstand und der auch zu dessen Aufnahme in das Album unfreiwilliger Komik geführt haben dürfte, hat Wolfgang Rasch vor ein paar Jahren einen Aufsatz in den Fontane Blättern gewidmet.

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Die handschriftlichen Einträge auf der vorderen Innenseite des Einbands

Ein weiteres ›Album unfreiwilliger Komik‹ hat das Theodor-Fontane-Archiv unlängst aus Privatbesitz erworben. Dabei handelt es sich jedoch um kein gedrucktes Buch, sondern um ein Konvolut, das entstanden ist, indem Druckfehler, Stilblüten und Verschreiber zunächst mit einem meist farbigen Stift in verschiedensten Zeitungen markiert, die betreffenden Stellen dann ausgeschnitten und auf die leeren Seiten eines dickleibigen Bandes geklebt und die Zitate schließlich mit Angaben der Quelle versehen worden sind. In die Bestände des Theodor-Fontane-Archivs fügt sich der Band nicht zuletzt durch den Urheber der Sammlung ein, der sich aufgrund der handschriftlichen Einträge auf der Innenseite des vorderen Einbanddeckels ermitteln lässt.

Zunächst steht dort mit Bleistift geschrieben: »Diese Sammlung, ›Druckfehler u. Sinnwidrigkeiten | Deutscher Zeitungen[‹], von Paul Lindau 1877 angefangen, | unterstützt von Julius Stettenheim, kam | am 3. III. 21 als Geburtstagsgeschenk | von Frau Toni v. Seyffertitz in meinen Besitz.«

Darauf folgt ein mit Kugelschreiber notierter Absatz: »August Dörschel, der ehema-|lige Dramaturg des Königl. | Schauspielhauses, unter | Paul Lindau, bekam | dieses Buch als Geschenk, | er schenkte es mir im | Jahre 1928. und | ich hab es meinem | lieben Werner Oelschläger | 1960 als kleines An-|denken verehrt. | Manny Ziener«

Zweimal fällt in den Einträgen der Name des Journalisten, Schriftstellers und Theaterleiters Paul Lindau, an den Theodor Fontane zwischen 1872 und 1890 mindestens 55 Briefe richtete und in dessen 1877 gegründeter Monatsschrift Nord und Süd Fontanes Roman L’Adultera 1880 vorabgedruckt wurde. Als Lindaus Unterstützer wird in einem der Einträge der Journalist und Schriftsteller Julius Stettenheim genannt, der als Mitbegründer des Theatervereins ›Freie Bühne‹ einer der Wegbereiter des modernen naturalistischen Theaters in Deutschland war.

Ähnlich wie die Leserinnen und Leser des Albums unfreiwilliger Komik scheinen Lindau und Stettenheim ein besonderes Vergnügen an menschlichen Fehlleistungen gehabt zu haben. Dabei war ihnen bewusst, dass diese Art von Humor nicht jedem nachvollziehbar ist und zuweilen einfältig wirkt. Das legt zumindest eine Stelle in Stettenheims Memoirenband Heitere Erinnerungen nahe, die sich auf die gemeinsam mit Lindau angelegte Sammlung beziehen lässt:

»Viele meiner heiteren Erinnerungen sind mit dem Namen Lindau's eng verknüpft. Wenn ich sie aufzeichnen wollte, so wüßte ich nicht, wo ich anfangen und aufhören sollte, und ich bin auch überzeugt, daß der Leser dieser Zeilen, wenn ich ihm erzählte, was uns häufig in die heiterste Stimmung versetzte, gar nicht begreifen würde, wie uns dergleichen amüsieren konnte, und er würde überzeugt sein, daß wir ungemein bescheiden in unseren Ansprüchen waren. Es käme aber darauf an, dem Leser zu erklären, wie wir die Thorheiten der Menschen und unsere eigenen ansahen und noch ansehen, und das ist recht schwer zu erklären.«

Mit der Erwerbung des Bandes Druckfehler und Sinnwidrigkeiten Deutscher Zeitungen steht den Nutzerinnen und Nutzern des Theodor-Fontane-Archivs die Möglichkeit offen, sich selbst ein Bild zu machen. Auch die Bildergalerie lädt dazu ein, ein wenig in der kuriosen Neuerwerbung zu stöbern.

Literatur

Wolfgang Rasch: Homer schläft! Der Berliner Börsen-Courier moniert einen Passus in Irrungen, Wirrungen. In: Fontane-Blätter, Heft 105, 2018, S. 30-38.

Julius Stettenheim: Heitere Erinnerungen. Keine Biographie. Berlin 1896. (Das Zitat findet sich auf S. 221 f.)