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Blog Post13.03.2025

The Fontane Estate

von Anika Resing

In den Händen der Familie (1898–1932)

Der literarische Nachlass Theodor Fontanes gehört zu den umfangreichsten des 19. Jahrhunderts.[1] Nach dem Tod Fontanes am 20. September 1898 vorerst noch im Besitz der Familie, oblag es zunächst der Witwe Emilie Fontane, den Nachlass aufzubewahren, zu sichten und zu sortieren.

»Sie handelte dabei mit der ihr stets innewohnenden Entschiedenheit und Entschlossenheit. Was ihr unter dem strengen Aspekt ihres Werturteils nicht als würdig und wertvoll, fördersam und freundesnah erschien oder auch als nur für engstes Vertrautsein bestimmt war, wurde – als sicherstes Mittel der Beseitigung – verbrannt.«[2]

Nachdem jedoch, neben zahlreichen Briefen und Materialsammlungen, auch das Manuskript eines nahezu vollendeten Romans Emilie Fontanes entschlossener Bestandsbereinigung zum Opfer fiel, intervenierte die Familie gegen ihr entschiedenes Vorgehen. Die Witwe verschenkte weiterhin großzügig Handschriften als Erinnerungsstücke aus dem literarischen Nachlass ihres Mannes an Freunde und Bewunderer. Doch bleibt festzuhalten, dass dieses Vorgehen keineswegs völlig im Widerspruch zu Theodor Fontanes eigenen Absichten stand. Gegenüber dem Justizrat Dr. Paul Meyer hatte er einst den Wunsch geäußert, sein unveröffentlichtes Werk möge nach seinem Tod der endgültigen Vernichtung durch Feuer überlassen werden, um einer möglichen Ausplünderung seines Nachlasses durch Philologen zuvorzukommen.[3]

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Testament von Theodor und Emilie Fontane, 7. Februar 1892 [Abschrift für Paul Schlenther] (TFA Ga 34): »Diese drei sollen unbeschränkt entscheiden, was mit den Schriften geschehen soll, sie haben auch über die Art der Verwerthung oder Vernichtung zu bestimmen. […] Die ernannte Kommission ersuche ich, Theodor Fontane, für den Fall, daß ich zuerst sterben sollte, meiner Ehefrau mit Rath und That zur Seite zu stehen und falls meine Frau es verlangt, sofort ihr Amt anzutreten.«

Dieser Gedanke ist im größeren Kontext des Paradigmenwechsels im Nachlassbewusstsein, der sich im 19. Jahrhundert vollzogen hat, zu betrachten. Zu Beginn des Jahrhunderts erkannten Autoren wie Wolfgang von Goethe (1749–1832) zum einen – und in Abkehr von der frühneuzeitlichen Überzeugung, dass ausschließlich gedruckte Werke eine bleibende und schützenswerte Bedeutung besitzen – den Wert ihres literarischen Nachlasses für die Wissenschaft und erschlossen diesen noch zu Lebzeiten umfassend für die Nachwelt. Zum anderen trug das Narrativ des unentdeckten Genies im Kontext der Genieästhetik und der posthume Erfolg von Autoren wie Heinrich von Kleist (1777–1811) dazu bei, literarischen Nachlässen neben einem wissenschaftlichen auch einen finanziellen Wert beizumessen. 1892 trafen die Eheleute Fontane  eine weitreichende Entscheidung: Nicht etwa, um dem vermuteten starken Interesse der Philologen am literarischen Nachlass Theodor Fontanes gerecht zu werden, sondern vielmehr mit dem Ziel, die finanzielle Absicherung seiner Frau Emilie und seiner damals noch unverheirateten Tochter Martha zu gewährleisten, legten sie in einem Gemeinschaftstestament fest, dass eine Nachlasskommission, bestehend aus der Tochter Martha, dem Schriftsteller Paul Schlenther[4] sowie dem Rechtsanwalt Paul Meyer die rechtskräftige Verfügung über den Nachlass erhalten sollte.

Während sich die ernannten Nachlassverwalter zu Lebzeiten Emilie Fontanes zurückgehalten hatten, begannen sie kurz nach ihrem Tod am 18. Februar 1902 mit der ihnen eigentlich anvertrauten Aufgabe. Zwischen den Jahren 1905 und 1910 wurde der handschriftliche Nachlass auf seine Veröffentlichungswürdigkeit überprüft und mehrere Schriften postum publiziert. Aus dem überlieferten Schriftverkehr und den Randbemerkungen auf potenziellen Druckvorlagen werden jedoch auch die Differenzen dieser Zusammenarbeit hinsichtlich rein wissenschaftlich-editorischer und familiärer Interessen ersichtlich.

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Paul Schlenther an Martha Fritsch, geb. Fontane v. 4. März 1902 (TFA W 6): »Soweit dieser Nachlaß Eigenthum ist, gehört er den Erben, soweit er ein öffentliches Interesse hat, unterliegt er den Bestimmungen der Commission. Daß Th. F. selbst ihm ein öffentliches Interesse zusprach, bewies er zur Genüge durch Einsetzung dieser Commission. Die Erben also haben den Nachlaß zu bewahren und zu besitzen, der Commission aber muß er jederzeit zugänglich bleiben, auch ohne ihre Genehmigung darf er weder verbreitet noch vernichtet werden. So liegen nach meiner Ansicht die Competenzen. Keineswegs aber ist der literarische Nachlaß eines Dichters vom Range Th. F’s ausschließlich Familienpapier, sondern er gehört auch zur Geschichte der Cultur seiner Zeit und seines Volks. In diesem Sinne hat die Comission zu walten.«

Der Tod von Paul Schlenther (1916) und Fontanes einziger Tochter Martha Fritsch (1917) beendete schließlich die Arbeit der Nachlasskommission. In der Folge waren nur noch Fontanes Söhne Friedrich und Theodor erbberechtigt und übernahmen die alleinige Verantwortung. 

Der handschriftliche Nachlass sowie die Bibliothek wurden zunächst in der Wohnung Friedrich Fontanes in Berlin aufbewahrt, wo auch Emilie Fontane in ihren letzten Lebensjahren gelebt hatte. Auch nach seinem Umzug nach Neuruppin, dem Geburtsort seines Vaters, war es vor allem der jüngste Sohn, der sich in den darauffolgenden Jahren der Ordnung und Pflege des Nachlasses widmete. Er setzte die Arbeit Emilie Fontanes fort und erweiterte das Briefkorpus seines Vaters durch weitere Abschriften und den Rückerwerb von Briefen. Darüber hinaus gewährte er der Forschung auf Anfrage Einblick in die Handschriftenkonvolute, erteilte bereitwillig Auskünfte und unterstützte Publikationsvorhaben, die den Nachlass betrafen. Mit dem Ankauf von Sekundärliteratur sowie Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen ergänzte er die Nachlasssammlung.

Die Auswirkungen der Inflations- und Krisenjahre der Weimarer Republik sowie das Ende der Schutzfrist für die Werke Theodor Fontanes im Jahr 1928  wirkten sich auch auf die Erben wirtschaftlich aus. Weder die Pflege noch der weitere Ausbau der Sammlung konnten von der Familie weiter finanziert werden.

»Das Interesse der Enkelgeneration war […] nicht mehr intensiv genug, um das Archiv für die Wissenschaft zusammenzuhalten und dafür schwere wirtschaftliche Opfer aufzubringen. Für die Fontane-Erben gab es letztlich nur zwei Möglichkeiten: entweder geschlossene Aufgabe durch Geschenk oder Verkauf an eine öffentliche Einrichtung (Museum, Bibliothek, Archiv) oder eine Verauktionierung durch Autographenhändler.«[5]

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Katalog der Versteigerung des Nachlasses von Theodor Fontane, Hellmut Meyer & Ernst, Kat. 35, 9.10.1933

Die ökonomischen Krisen der Weimarer Republik überforderten jedoch auch die öffentlichen Einrichtungen finanziell, und die Verhandlungen mit der Preußischen Staatsbibliothek über den Ankauf des gesamten literarischen Nachlasses scheiterten. Die Familie entschied sich schließlich, den gesamten literarischen Nachlass dem Auktionshandel zu übergeben. Am 9. Oktober 1933 fand beim Berliner Auktionshaus Hellmut Meyer & Ernst die Versteigerung des in 280 Lose zerlegten literarischen Nachlasses statt. Es war die bis dahin umfangreichste Nachlasssammlung, die auf dem Auktionsmarkt gehandelt wurde. 

Nicht zuletzt markierte die Versteigerung auch den traurigen Beginn eines Zerstreuungsprozesses, der in den folgenden Jahren einsetzte. Dieser Umstand ist umso verheerender, angesichts der Arbeitsmethode Theodor Fontanes, die – zum Zwecke der Papierersparnis – oftmals die noch unbenutzten Rückseiten von nicht mehr benötigten Manuskripten für Entwürfe und Notizen verwendete.

Nur etwa 25 % der Angebote wurden bei der Versteigerung veräußert und der unverkaufte Rest ging an die Erben zurück. Trotz des eher geringen Erfolgs der Auktion sah sich Friedrich Fontane in der Folgezeit mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert, den finanziellen Wert des Nachlasses vor den kulturellen gestellt zu haben.

Dies veranlasste ihn letztlich im Juni 1935 dazu, einen Rundbrief Für meine Freunde und Bekannte im In- und Ausland zu versenden.[6] In dem drei Seiten umfassenden Brief legte er nicht nur den ergebnislosen Verlauf der Verhandlung mit der Preußischen Staatsbibliothek offen, sondern deutete anhand einer einzelnen Fußnote auch seine persönliche Enttäuschung über die Vergeblichkeit seiner langjährigen Bemühungen an: »Anfragen über das Leben Theodor Fontanes und die Entstehung seiner Werke können nicht mehr beantwortet werden.«[7]

In öffentlicher Hand (1935–1944)

Um eine weitere Zerstückelung des Nachlasses durch zusätzliche Einzelverkäufe zu verhindern, kam es schließlich zu Verhandlungen zwischen Friedrich Fontane und der Brandenburgischen Provinzialverwaltung (vertreten durch Hermann Fricke).

»Die Zeitlage war der Geisteswelt eines Theodor Fontane, der es liebte, ›immer hart am Rande des Hochverrates‹ zu plaudern, so ungünstig wie möglich. Daß die Erwerbung durch eine öffentliche Institution dennoch gelang, war nur durch ein fast metaphysisches Zusammengreifen rein menschlicher Liebe zu Fontane zu verdanken. Der Landeshauptmann [Dietloff von Arnim, Anm. A.R.] war ein Mann aus alter märkischer Familie, […]. Friedrich Fontane, […], erfreute sich der Freundschaft zum Altmeister der Wanderer des Touristenklubs für die Mark Brandenburg gegr. 1884, – dem Vorgänger der Landesgeschichtlichen Vereinigung, dessen Ehrenmitglied noch Theodor Fontane war – Hermann Lucke. Dieser und der Klubvorsitzende Martin Henning haben den Verfasser [H. Fricke, Anm. A.R.] redlich unterstützt.«[8]

Nachdem am 18. Dezember 1935 alle Bedingungen in einem Vorvertrag schriftlich fixiert wurden, folgte am 20. Januar 1936 die offizielle Unterzeichnung des Kaufvertrags.[9] Als Gründungsdatum des Theodor-Fontane-Archivs gilt seither der 18. Dezember 1835. Auch die Übergabe wesentlicher Teile des Nachlasses erfolgte bereits am 23. Dezember 1935.[10] Zusammen mit denjenigen anderer märkischer Autoren[11] wurde Fontanes Nachlass dem Brandenburgischen Schrifttumsarchiv zugeordnet, bildete im Umfang und Bedeutung jedoch den Hauptbestand dieser Einrichtung.

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Vorvertrag für den Ankauf des Restnachlasses Fontanes durch die Provinzialverwaltung Brandenburgs vom 18.12.1935, Seite 3. Abbildung nach Manfred Horlitz: Theodor-Fontane-Archiv Potsdam. 1935 – 1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Berlin: Berliner Bibliophilen Abend, S. 28.

Wie bereits bei dem 1885 in Weimar gegründeten Goethe-Archiv war die Benennung der neu gegründeten Institution als »Archiv« jedoch keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Bis in die 1930er Jahre wurde am Institut für Archivwissenschaften und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin-Dahlem die Position gelehrt, dass die Festlegung der institutionellen Zuständigkeit des Nachlasses durch den Tätigkeitsschwerpunkt des Bestandsbildners erfolgt. 

Archive, traditionell im Umfeld von Recht und Verwaltung verortet, waren dieser sachthematischen Festlegung folgend daher für die Nachlässe von Amtsträgern, wie Politikern und Militärs, zuständig. Die Nachlässe von Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen wurden hingegen den Handschriftensammlungen der Bibliotheken zugeordnet.

Im Laufe der Zeit und insbesondere in Reaktion auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts verlagerte sich der Fokus im Archivwesen zunehmend auf das Archivgut. In der Absicht ein umfassendes und authentisches Bild der Vergangenheit zu bewahren und einem ansonsten drohenden Überlieferungsverlust entgegenzuwirken, erweiterten die Archive nicht nur ihr Sammlungsprofil, sonder auch ihr Aufgabenverständnis. Neben der Erhaltung wertvoller historischer Dokumente gewannen auch die unterschiedlichsten Formen der Zugänglichmachung des eigentlichen Gegenstandes der Archivarbeit an Bedeutung.

Im Verlauf des Jahrhunderts entwickelte sich die Institution des Archivs daher auch für die Wissenschaft zu wichtigen Forschungsstätten. Von bewahrenden Orten, die herrschaftliches Handeln legitimierten und amtliche Dokumente vor dem Verfall schützen, wurden sie zu eigenständigen Institutionen und Forschungseinrichtungen der Geisteswissenschaften. Auch die Legitimität von Literaturarchiven als Forschungsstätte der Geistes- und Kulturwissenschaften erklärt sich vor diesem Hintergrund. Mit dem Ende des (posthumen) Wirkens sollten auch die literarischen Nachlässe von Autoren:innen der Wissenschaft zugänglich gemacht und eine fachgerechte Überlieferung nach archivpraktischen Aspekten gewährleistet werden.

Trotz der Zersplitterung zählte der literarische Nachlass Fontanes auch nach der Auktion im Herbst 1933 noch immer zu einer der umfassendsten Nachlasssammlungen vor dem Zweiten Weltkrieg. Zusammen mit der Übergabe sämtlicher Besitz-, Urheber- und Verwertungsrechte an die Provinzialverwaltung gehörten zum Ankauf alle noch verbliebenen Handschriften, Teile der Handbibliothek, die von Friedrich Fontane angelegte Sammlung an Primär- und Sekundärliteratur sowie Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen, Bilder und Familienandenken und die Akten des Fontane-Verlags.[12] Zunächst im Landeshaus in Berlin untergebracht, in der sich zudem die Brandenburgische Landesbibliothek befand, wurde Hermann Fricke[13] zum ersten Leiter des Archivs berufen. 

»Der Aufbau des Fontane-Archivs erfolgte unter selbstverständlicher Wahrung des Provenienz-Prinzips der Fontaneschen Ordnung nach den Grundideen Wilhelm Diltheys über Literatur-Archive und den Erfahrungen moderner Hand­schriften-Archive, […].«[14]

Aus dem Umfeld des bekannten Fontane-Seminars von Prof. Julius Petersen an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin wurden Jutta Fürstenau[15] sowie Charlotte Jolles[16] als Mitarbeiterinnen eingestellt. In der Jubiläumsschrift zum 60-jährigen Bestehen des Theodor-Fontane-Archivs berichtet Jolles über die ersten Jahre:

»[…], im Wintersemester 1935/36, hielt Julius Petersen an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin in seinem Oberseminar seine »Übungen über Fontane« ab, mit 24 Teilnehmern. […] Petersens Schüler waren die ersten Nutznießer des neuen Archivs. Sie fanden sich bald um den Leiter des Archivs, Hermann Fricke, zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Zu diesem Kreis gehörten auch Otto Neuendorff, der bereits über Fontanes Freund und Kollegen George Hesekiel promoviert hatte, und ich, deren Dissertation über Fontane und die Politik gerade abgeschlossen war.

Die Gruppe kam regelmäßig zu Diskussionen im Archiv zusammen. Eine vergnügte Bummelei durch Berlin und alte Gaststätten beschloß dann diese Abende. Schon zwei Jahre später konnten die Mitglieder dieses Kreises die ersten Resultate ihrer Forschungen in den Brandenburgischen Jahrbüchern veröffentlichen.«[17]

Im Jahr 1937 publizierte das Brandenburgische Schrifttumsarchiv ein erstes Verzeichnis zum Bestand Theodor Fontanes. Da die Archivleitung jedoch aufgrund der bereits laufenden Kriegsvorbereitungen keine Haushaltsmittel für eine gesonderte Publikation erhielt, wurde das Verzeichnis als Beilage 4 der ersten Veröffentlichung aus den Archivbeständen, die noch unter der Mitarbeit von Friedrich Fontane entstanden war, beigefügt.[18]

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Erstes Bestandsverzeichnis des Theodor-Fontane-Archivs, in: Hermann Fricke (1937): Emilie Fontane. Mit unveröffentlichten Gedichten und Briefen von Theodor und Emilie Fontane. Rathenow 1937, S. 116 f.

Es folgten weitere Veröffentlichungen, wie der aus dem Nachlass erworbene letzte Romanentwurf Die Likedeeler und eine erste, von Jolles verfasste Übersicht[19] zu den sich in öffentlichen Einrichtungen befindlichen Nachlassteilen. In den Jahren 1937 bis 1944 konnte das Brandenburgische Schrifttumsarchiv durch Ankäufe weiterer Handschriften von Heinrich und Ewald von Kleist oder Achim von Arnim seine Bestände erweitern und hinzukommend 173 Autographen von Fontane sowie 90 Kunstobjekte[20] aus dem Nachlass Friedrich Fontanes erwerben.

Mit Beginn des Krieges wurde das Archiv zusammen mit den Beständen der Brandenburgischen Landesbibliothek aus dem Landeshaus in Berlin in die Landesanstalt nach Potsdam gebracht und alsbald für die öffentliche Nutzung gesperrt. Aufgrund der zunehmenden Luftangriffe wurden im Mai 1943 die Archivalien in Panzerschränken im Kellergang des Gebäudes verlegt.[21] Gegen die wiederholt aufkommenden Pläne der Verlagerung des Archivbestandes an einen sicheren Auslagerungsort setzte sich Herrmann Fricke erfolgreich zur Wehr. Nach seiner Einberufung erfolgte jedoch am 26. April 1944 zusammen mit anderen wertvollen Kulturgütern die Überführung des Archivs auf das Provinzialgut Rotes Luch bei Müncheberg.[22] Eine mehrseitige Liste, die den Inhalt des Transportes dokumentiert, ist zugleich auch »das letzte übersichtsartige Inventar, das vom Fontane-Archiv vor den Kriegsverlusten existiert«.[23]

Image: BLHA
BLHA Rep. 55 XI, 401 Kunstschutz: Unterbringungsmöglichkeiten von Kunst- und Kulturgut in vor Feindeinwirkung geschützten Bergungsstätten in der Provinz Brandenburg, Bl. 8r.

Gut zwanzig Jahre später schildert Herrmann Fricke, nicht ohne Verbitterung, seine Sicht der damaligen Ereignisse:

»Mit dem Fortgang des zweiten Weltkrieges kam auch die Arbeit am Fontane-Nachlaß zum Stillstand. Die jüngere Generation aus Julius Petersens Fontane-Seminaren stand im Wehrdienst oder im Rüstungseinsatz. Trotz dringenden Abratens durch den Verfasser [H. Fricke, Anm. A.R.] wurde das Archiv zu einer Zeit, da z. B. das Staatsarchiv seine Bestände aus dem unsicher gewordenen Bergungsraum im Osten zurückholte, von sachunkundiger Hand in schnell und systemlos gefüllten Kisten in das Brandenburgische Wandererarbeitsheim Rotes Luch bei Müncheberg verlagert. Während in Potsdam die Panzerschränke mit den Restbeständen, des Schrifttumsarchivs wie auch das Ständische Archiv, dessen Neumärkischer Bestand an Polen abgegeben wurde, unversehrt blieben, wurden die Bestände in Müncheberg den Kriegsereignissen ausgeliefert.«[24]

Literatur

Herrmann Fricke (1964): Das Theodor-Fontane-Archiv. Einst und jetzt. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 15, S. 175–177.

Manfred Horlitz (1995): Auf dem Weg zu einer zentralen Sammelstätte aller Archivalien von und über Theodor Fontane. In: Ders. (Hrsg.): Theodor-Fontane-Archiv Potsdam: 1935 – 1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Berlin: Berliner Bibliophilen Abend, S. 15–69.

Charlotte Jolles (1995): Der Anfang. In: Manfred Horlitz (Hrsg.): Theodor-Fontane-Archiv Potsdam: 1935 – 1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Berlin: Berliner Bibliophilen Abend, S. 81–82.

Charlotte Jolles (1938): Der Nachlaß Theodor Fontanes. In: Brandenburgische Jahrbücher 9, S. 90–92.

Christel Laufer (1974): Der handschriftliche Nachlaß von Theodor Fontanes. In: Fontane Blätter 20, S. 264–287.

Klaus-Peter Möller und Peer Trilcke (2020): Das Theodor-Fontane-Archiv 1945 – und 75 Jahre danach. Unbekannte Dokumente zur Bestandsgeschichte. In: Fontane Blätter. Heft 110, S. 8–23.

Joachim Schobeß (1965): Der Nachlaß Theodor Fontanes 1898–1965. Dreißig Jahre Theodor-Fontane-Archiv in öffentlicher Hand. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 12, S. 729–745. 

Weiterführende Literatur

Adolf Brenneke (1953): Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens. Bearb. nach Vorlesungsnachschriften und Nachlaßpapieren. Hg. W. Leesch. Leipzig: Koehler & Amelang.

Petra Dallinger, Georg Hofer und Bernhard Judex (Hrsg.) (2018): Archive für Literatur. Der Nachlass und seine Ordnungen. Berlin, Boston: De Gruyter.

Marcel Lepper und Ulrich Raulff (Hrsg.) (2016): Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag.

Philipp Messner (2021): Provenienzprinzip und archivisches Denken: Von der ursprünglichen Ordnung zur Geschichtlichkeit von Überlieferung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 46 (1), 149–156.

Irmgard M. Wirtz und Stéphanie Cudré-Mauroux (Hrsg.) (2013): Literaturarchiv – Literarisches Archiv. Zur Poetik literarischer Archive. Göttingen: Wallstein.

Empfohlene Zitierweise: Anika Resing: Der Fontane-Nachlass, Blogserie Objekt des Monats, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 13.3.2025. URL: https://www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2025/03/13/der-fontane-nachlass

Footnotes

    [1] Vgl. Schobeß, J. (1965): Der Nachlaß Theodor Fontanes 1898–1965. Dreißig Jahre Theodor-Fontane-Archiv in öffentlicher Hand. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 12, S. 730; Laufer, C. (1974): Der handschriftliche Nachlaß von Theodor Fontanes. In: Fontane Blätter 20, S. 266; Horlitz, M. (1995): Auf dem Weg zu einer zentralen Sammelstätte aller Archivalien von und über Theodor Fontane. In: Ders. (Hrsg.): Theodor-Fontane-Archiv Potsdam: 1935 – 1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Berlin: Berliner Bibliophilen Abend, S. 15.

    [2] Fricke, H. (1964): Das Theodor-Fontane-Archiv. Einst und jetzt. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 15., S. 169.

    [3] Vgl. Laufer, C. (1974): Der handschriftliche Nachlaß von Theodor Fontanes. In: Fontane Blätter 20, S. 264.

    [4] Paul Schlenther, ab 1898 Direktor des Wiener Burgtheaters, übertrug mit Einverständnis der Familie dem damaligen Assistenten im Märkischen Provenzialmuseum, dem späteren Märkischen Museum, Otto Pniower (1918-1924 Direktor des Märkischen Museums) hinsichtlich der Veröffentlichung einer Gesamtausgabe die Durchsicht der Manuskripte.

    [5] Fricke (1964), S. 172.

    [6] Friedrich Fontane (1935): Der literarische Nachlaß Theodor Fontanes und die preußische Staatsbibliothek (Epilog). Neuruppin (Privatdruck). Siehe hierzu auch: Schobeß (1965), S. 733–735 und Horlitz (1995), S. 202–204.

    [7] Ebd. (1935), S. 1. Zitiert nach: Schobeß (1965), S. 733 und Horlitz (1995), S. 202.

    [8] Fricke (1964), S. 174.

    [9] Anders als der Vorvertrag vom 18. Dezember 1935 (siehe hierzu auch: BLHA Rep. 55 XI, 869, Bl. 16 f) gilt der Vertrag vom 20. Januar 1936 als verschollen, da dieser laut Aktenvermerk bereits vor 1945 für eine gesonderte Verwahrung der Akte entnommen wurde (siehe hierzu auch: BLHA Rep. 55 XI, 869, Bl. 168). Zitiert nach: Möller, K.-P. und Trilcke, P. (2020): Das Theodor-Fontane-Archiv 1945 – und 75 Jahre danach. Unbekannte Dokumente zur Bestandsgeschichte. In: Fontane Blätter. Heft 110, S. 22, Anm. 8 und 9.

    [10] Ebd., S. 9 f.

    [11] Z.B. Willibald Alexis, Friedrich de la Motte Fouqués, Martin Anton Niendorf

    [12] Vgl. Horlitz (1995), S. 27 f.

    [13] Hermann Fricke (1895–1982) studierte zwischen 1918-1922 Literatur- und Kunstwissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaft in Berlin, Göttingen und Freiburg. Nach seiner Promotion war er zunächst Herausgeber mehrerer kultureller und politischer Pressedienste und Mitglied der Reichspressekonferenz. Ab 1932 war er Mitarbeiter der Provinzialverwaltung Brandenburg und leitete ab 1934 die Brandenburgische Landesbücherei.

    [14] Fricke (1964), S. 175.

    [15] Jutta Neuendorff (1913–1997), geb. Fürstenau, arbeitete während ihrer Zeit als Doktorandin (Fontane und die Märkische Heimat) ab 1937 im Brandenburgischen Schrifttumsarchiv. Bis zum Kriegsende blieb sie in ihrer Position, übernahm zugleich jedoch auch immer mehr Aufgaben im Schrifttumsarchiv und der Landesbücherei. In der unmittelbaren Nachkriegszeit beteiligte sie sich an der Bergung verschiedenster Kulturgüter. Siehe hierzu: Möller & Trilcke (2020), S. 10 und 15.

    [16] Charlotte Jolles (1909–2003) schrieb ihre Dissertation (Fontane und die Politik. Ein Beitrag zur Wesensbestimmung Theodor Fontanes) und arbeitete anschließend im Brandenburgischen Schrifttumsarchiv. Jolles dokumentierte als erste 1938 die Zersplitterung des Fontane-Nachlasses (siehe Anm. 19) und floh noch im gleichen Jahr aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach England. Dort setzte sie ihre wissenschaftliche Karriere fort und etablierte sich als eine angesehene Fontane-Forscherin. Vgl. Horlitz (1995), S. 33; Möller & Trilcke (2020), S. 10; Laufer (1974), S. 278.

    [17] Jolles, C. (1995): Der Anfang. In: M. Horlitz (Hrsg.): Theodor-Fontane-Archiv Potsdam: 1935 – 1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Berlin: Berliner Bibliophilen Abend, S. 81.

    [18] Schobeß (1965), S. 735. Bei der ersten Publikation handelte es sich um eine Aufbereitung des Lebensweges von Emilie Fontane (Siehe hierzu auch: Das Theodor Fontane-Archiv der Brandenburgischen Provinzial-Verwaltung. In: Hermann Fricke (1937): Emilie Fontane. Mit unveröffentlichten Gedichten und Briefen von Theodor und Emilie Fontane. Rathenow 1937, S. 116–135).

    [19] Siehe hierzu auch: Jolles, C. (1938): Der Nachlaß Theodor Fontanes. In: Brandenburgische Jahrbücher 9, S. 90–92.

    [20] Bei den Kunstobjekten, die durch den Fontane-Enkel Peter Fontane veräußert wurden, handelte es sich u.a. um »zahlreiche Bände aus der Fontane'schen Handbibliothek, Originalgemälde, Familienandenken und auserlesenes Mobiliar, das aus dem Besitz Theodor Fontanes stammte. Bis auf sehr wenige Stücke, die sich heute im Archiv befinden, scheinen fast alle Kunstgegenstände aus Friedrich Fontanes Nachlaß in den Wirren des letzten Krieges verloren gegangen zu sein« (Horlitz (1995), S. 39 f).

    [21] Möller & Trilcke (2020), S. 11 (Siehe hierzu auch: BLHA Rep. 55, XI 33 Dienstbetrieb 1942–1945, Bl. 96).

    [22] Ebd., S. 11 (Siehe hierzu auch: BLHA Rep. 55 XI, 401 Kunstschutz: Unterbringungsmöglichkeiten von Kunst- und Kulturgut in vor Feindeinwirkung geschützten Bergungsstätten in der Provinz Brandenburg, Bl. 7–12).

    [23] Ebd., S. 11.

    [24] Fricke (1964), S. 175.