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Blogbeitrag15.12.2020

»Eine differenziertere Auseinandersetzung leisten als Heldenfriedhöfe und Siegessäulen«

Der Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs, Johann Holzner, stellt sich vor

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Seit ihrer Gründung 2013 setzt sich die Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs e.V. dafür ein, das Archiv in seiner Tätigkeit als bedeutendes Literaturarchiv und Zentrum der internationalen Fontane-Forschung zu unterstützen. So hat sie etwa 2019 erstmals gemeinsam mit dem Archiv den Fontane-Wissenschaftspreis für herausragende Verdienste um die Erforschung von Werk und Leben Theodor Fontanes verliehen. Hier steht uns der amtierende Vorsitzende, Johann Holzner, Rede und Antwort zu seinem Fontane-Bezug und zur Rolle von Literaturarchiven heute.

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: Dappergent8 / Wikipedia

Johann Holzner war außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck und von 2001 bis 2013 Leiter des Forschungsinstituts Brenner-Archiv. Seit 2014 ist er Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Theodor-Fontane-Archivs.

Theodor-Fontane-Archiv: Lieber Herr Holzner, was bedeutet Ihnen Theodor Fontane?

Johann Holzner: Ich habe verhältnismäßig spät, erst in der Studienzeit begonnen, Fontane zu lesen. Zuallererst natürlich die üblichen Verdächtigen, L’Adultera, Effi Briest, Stechlin … Aber ich komme seither, seit mittlerweile fünfzig Jahren also nicht mehr von ihm los. Ich sehe nämlich, wenn ich seine Bücher lese, nach wie vor oft und oft Neues, Überraschendes, bemerke immer wieder, was da alles aufleuchtet auch zwischen den Zeilen (und was ich früher übersehen habe) – und sehe demnach hin und wieder dann auch mich selber mit neuen Augen. Seine wunderbaren Landschaftsschilderungen, seine elegant verpackten Plädoyers, verschiedene Perspektiven und damit Ambivalenzen doch wenigstens probeweise einmal geduldig auszuhalten, wo alles andere zuverlässig nur Engstirnigkeit und Intoleranz nach sich ziehen würde, und vor allem seine unverwechselbare Art und Weise zu beschreiben, was sich alles zuträgt an Empfindungen und Hoffnungen und Illusionen in den Köpfen seiner Figuren wie auch ganz besonders in ihren Gesprächen untereinander: Unwiederbringlich, dieser Fontane-Ton.

Theodor-Fontane-Archiv: Welche (gesellschaftliche) Bedeutung kommt Literaturarchiven zu?

Johann Holzner: Seit jeher zählt zu den Aufgaben der Literaturarchive nicht nur die Sammlung, Erhaltung, Erweiterung und Erschließung (das heißt seit Jahren u. a. auch Digitalisierung) von Materialien, sondern genauso die Vermittlung von Literatur sowie die Präsentation ausgewählter (meist älterer) Schätze in Ausstellungen; nicht zuletzt: die Bereitstellung der Bestandsdaten für die Öffentlichkeit, vor allem aber die Forschung (eigenständig oder im Verbund mit anderen Einrichtungen), konkret die Publikation von Editionen und Monographien (in der Regel auf der Basis der im Haus untergebrachten Sammlungen).

So wird im Literaturarchiv, wenigstens hin und wieder, die Kanonisierung von literarischen Werken zur Diskussion gestellt, auch die Kanonisierung von wissenschaftlichen Interpretationen, und beinahe permanent wird in einem Archiv darüber beraten, was zurückgestellt und aufgeschoben oder aber endlich revidiert und herausgehoben werden sollte.

Aber, hat nicht auch jede Literatur, die auf sich hält, einen doppelten Boden? Weiter: Ist’s nicht verfehlt, im Literaturarchiv nach wie vor, wie noch im Zeitalter des Positivismus, darauf hin zu arbeiten, dass am Ende nur mehr ein Boden (sei es die Biographie, sei es eine Konstellation von intertextuellen Beziehungen, was immer) sichtbar wird?

Es gibt mittlerweile kaum mehr Literaturarchive, die sich wohl fühlen unter der Decke des Geheimnisses, das sie mit Argusaugen hüten und vor jeder Öffentlichkeit zu verbergen trachten, nicht zuletzt um sich die Verfügungsgewalt über das in der Einrichtung Aufbewahrte (die schlüssige Interpretation des Bodens der aufgehobenen Materialien) möglichst lange zu sichern, am Ende gar für alle Zeiten. Die Archive müssen inzwischen vielmehr ständig selber ihre Rolle reflektieren, in einem Geschäft, in dem Stichworten wie ›Angst vor dem Verschwinden‹, ›Identitätsstiftende Funktion‹, ›Soziales Gedächtnis‹, ›Erinnerungskultur‹ die größte Bedeutung zukommt. Sie müssen sich als Erinnerungsorte sehen, die eine differenziertere Auseinandersetzung mit Vergangenem … mit unserer Vergangenheit fördern oder leisten können als Heldenfriedhöfe und Siegessäulen, sich mit Theoriebildungen auseinandersetzen, die das herkömmliche Vertrauen in traditionelle positivistische Grundsätze mit Eifer untergraben, und sie müssen den Konstruktionscharakter von Sammlungen (angelegt von Autorinnen und Autoren, von Literaturvermittlern, Witwen, Nachlassverwaltern) deutlich sichtbar machen, umsichtig kommentieren, (selbst)kritisch erläutern, auch und gerade dann, wenn sie das Netzwerk rund um ihre Sammlungen kontinuierlich ausbauen und damit gar nicht selten, was einmal fragmentarisch  gewesen ist, ergänzen oder sogar vervollständigen.

Theodor-Fontane-Archiv: Warum sollten sich (auch und gerade junge) Leute in einem Förderverein engagieren?

Johann Holzner: Aus zwei Gründen: zum einen, weil das was im Archiv passiert, was da geleistet wird, auch in ihrem eigenen Interesse ist; und zum andern, weil vieles im Archiv gar nicht zu packen wäre, gäbe es da nicht die Unterstützung durch eine Gesellschaft der Freunde und Förderer des Archivs.

Theodor-Fontane-Archiv: Herzlichen Dank für das Interview!

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