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Pressemitteilung11.11.2024

Interview zum Emilie-Jahr

Transkript der radioeins-Sendung »Literaturagenten« vom 10. November 2024

radioeins-Gespräch: Anne-Dore Krohn und Marie Kaiser

radioeins: Es ist wieder Fontane-Jahr, und wenn Sie jetzt sagen, Moment mal, das kann doch nicht stimmen, Fontanes 200. war doch 2019, dann haben Sie zwar recht, aber nur, wenn Sie Theodor Fontane meinen. Der Geburtstag seiner Frau Emilie allerdings, der jährt sich am kommenden Donnerstag zum 200. Mal.

Ohne Emilie hätte Theodor Fontane wohl kaum seine erfolgreichen Bücher geschrieben, sie war nicht nur seine Wegbegleiterin und Ehefrau, sondern auch Unterstützerin, Managerin und Abschreiberin: Über 40 Bücher von ihm hat sie ins Reine gebracht, u.a. den Stechlin, Effi Briest oder die Wanderungen durch die Mark Brandenburg.

Das Potsdamer Theodor-Fontane-Archiv rückt diese außergewöhnliche Frau dieses Jahr ins Scheinwerferlicht und widmet ihr u.a. die Ausstellung Emilie 200. Wir sind jetzt mit Dr. Anna Busch verbunden, sie ist stellvertretende Leiterin des Fontane-Archivs und hat die Ausstellung über Emilie Fontane federführend betreut.

Hallo Frau Busch, willkommen in den Literaturagenten!

Anna Busch: Hallo, wie schön, dass wir uns über Emilie Fontane austauschen können.

radioeins: Emilie Fontane beklagte zeitweise, dass sie sich nur noch wie eine »Abschreibe-Maschine« fühlte. Lange verschwand sie fast völlig hinter ihrem Ehemann. Wie erklären Sie es sich, dass inzwischen mehr über sie und ihre Rolle gesprochen wird?

Busch: Grundsätzlich muss man sagen, dass es in der Fontane-Forschung, immer mal wieder eine Beschäftigung auch mit Emilie Fontane gegeben hat. Die Forschung hat sich aber in erster Linie auf die von ihr überlieferten Briefe beschränkt. Das heißt, das Bild, dass von ihr vorgeherrscht hat, war das, was sich aus den Briefen herauslesen lässt. Ich kann ja vielleicht mal ein paar Zahlen nennen: Wir haben im Fontane-Archiv ungefähr 500 Brief aus Emilie Fontanes Feder, im Vergleich zu ungefähr 6000 Briefen von ihrem Mann – auch weil sie gerade in die Briefe aus der Verlobungszeit zensierend eingegriffen hat und Briefschaften vernichtet hat, aber auch, weil die Aufbewahrung von Briefe von Frauen als weniger notwendig erachtet wurden.

Heute richtete sich der Blick auch noch aus anderer Perspektive auf Emilie Fontane. Das hat in meinen Augen auch mit einer grundsätzlichen Neubewertung weiblicher Perspektiven in der Geschichts- oder Literaturgeschichtsschreibung zu tun. Da rücken dann Überlegungen zu einem veränderten Verständnis von Autorschaft und Kollaboration ins Zentrum. Es geht also mehr um Zusammenarbeit, weniger um Einzelleistung. Die Vorstellung, dass eine »Abschreibe-Maschine« - wie Emilie Fontane sich ja selbst nennt - nur eine passive Rolle spielte, kann man hinterfragen; man kann ihre durchaus bis dato unsichtbare Arbeit als Teil eines gemeinsamen Schaffensprozesses im »Romanschriftstellerladen« (wie Theodor Fontane es sagt) anerkennen und kann sie damit auch noch einmal anders bewertet werden.

radioeins: Emilie und Theodor Fontane lernten sich schon als Kinder kennen, heirateten 1850 und waren bis zu seinem Tod (1898) zusammen. Wie würden Sie ihre Rolle beschreiben, was hat Emilie alles für ihren Mann getan?

Busch: Die »Abschreibe-Maschine« haben wir ja gerade schon angesprochen. Emilie Fontane hat ihrem Mann tatsächlich tausende von Seiten Manuskript abgeschrieben. Theodor Fontane schreibt in seiner Autobiografie, wenn man die dicken Kriegsbücher mit einrechnet, seien das gut 40 Bände. Und wenn man sich dann einmal die Original-Manuskripte Theodor Fontanes angeguckt, sieht man durch was für ein unübersichtliches Durcheinander sie sich dafür kämpfen musste: Streichungen, Überschreibung Einklebungen, Hinzufügungen. Aus alldem hat sie einen fließenden Text gemacht, mitunter auch nicht ganz ohne Verdruss. Z.B. legt er ihr sein Roman Unwiederbringlich 1887 zur Abschrift unter den Weihnachtsbaum. Und auch die Abschrift vom 500 Seiten langen Stechlin stieß nicht nur auf große Freude bei ihr. Er schreibt daraufhin, Sie möge doch nicht solch eine große Langeweile zur Schau stellen. Sie hat auch als Vorleserin fungiert. Theodor Fontane schreibt, sie habe ihm alle Bücher und alle Zeitungen vorgelesen, d.h. im Rahmen des Vorlesens hat mit Sicherheit auch ein Gespräch über Literatur stattgefunden, sie war ihm also auch Gesprächspartnerin und mitunter Kritikerin seiner eigenen Werke. Zum seinem Roman Graf Petöfy schreibt sie »Liebesschilderungen sind nicht deine Sache« und dass beleuchtet ja sehr schön den offenen Ton, der zwischen den Eheleuten vorherrscht. Sie hat im Grunde als Mitarbeitern in seinem Gesamtwerk alle Phasen von Theodor Fontanes schriftstellerischer Produktion begleitet und sich da in unterschiedlichen Rollen auch eingebracht: Das fängt bei der Vorleserin von Briefen, Büchern, Zeitungsmeldung an. Als Lektorin und Kritikerin entstehender und auch erschienener Werke, aber auch als Abschreiberin aller Werkmanuskripte, aber dann auch sowas wie Agentin oder Netzwerkerin im Literaturbetrieb, wo sie Verhandlungen führt mit Verlegern und dann - nach seinem Tod - auch als Nachlassverwalterin.

Mal abgesehen von diesen mit seiner Schriftstellerei zusammenhängenden Tätigkeiten, ist sie ja auch Mutter von sieben Kindern und führt den Haushalt und ordnet die Finanzen.

radioeins: Zu meinen Lieblingslektüren gehört der hinreißende Ehebriefwechsel zwischen Theodor und Emilie. In dem es durchaus auch mal Misstöne gab, u.a. war sie mit den finanziellen Verhältnissen unzufrieden. Nach allem, was Sie über die Fontanes wissen: Glauben Sie, die beiden hatten eine gute Ehe?

Busch: Ja, das ist eine gute Frage. Eine »gute Ehe« kann ja durchaus für den einen das und für den anderen das bedeuten. In jedem Fall war es eine vielschichtige und langjährige Ehe, es gab - sie haben es gesagt – sowohl harmonische als auch herausfordernde Elemente: die finanzielle Situation gehört mit Sicherheit zu den herausforderndsten Aspekten. Seine Entscheidung den unsicheren Schriftstellerberuf zu wählen, das war für sie schwierig. Was ebenfalls herausfordernd war, war die Tatsache der langen räumlichen Trennungen. Er war als Korrespondent lange Zeit in London. Sie allein und mit kleinen Kindern in Deutschland, auch mit unsicherem Wohnort, zum Teil bei Freunden oder Familie wohnhaft. Drei der ursprünglich sieben Kinder sterben bereits kurz nach der Geburt – auch das ein schweres Los. Es gab auch – soweit wir wissen - uneheliche Kinder – ebenfalls eine schwierige Situation. Und das Ganze muss man auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biografie betrachten: Sie wird unehelich geboren, wächst zunächst beim Onkel auf, wird dann als Dreijährige per Zeitungsannonce zur Adoption angeboten, wird adoptiert, hat drei unterschiedliche Stiefmütter. Insgesamt eine von Unsicherheit geprägte Lebenssituation, die ihre Auflösung in der Ehe mit Theodor Fontane findet, die für Emilie Fontane - trotz aller Widrigkeiten – auch einen gesellschaftlichen Aufstieg bedeutet.

radioeins: In der Villa Quandt gibt es in diesem Jahr die Ausstellung Emilie200. Was sieht man dort, was ist dort über sie oder von ihr ausgestellt?

Busch: Die Ausstellung, die wir derzeit im Fontane-Archiv zeigen, hat eigentlich zwei Aufhänger: zum einen natürlich das 200. Geburtsjubiläum Emilie Fontanes, das wir zum Anlass genommen haben, uns mit all den Objekten und Materialien zu beschäftigen, die wir zu ihr und von ihr im Haus haben und davon wird einiges in der Ausstellung gezeigt: Briefe, die von ihr geführten Haushaltsbücher, erstmals werden auch umfangreiche Materialen zu ihrer Biographie aus Kirchenbüchern, Heiratsregistern, Sterbeurkunden zusammengetragen, es gibt Einzelobjekte zu sehen: ihren Tintenlöscher, einen Fächer. Wir beschäftigen uns mit ihren unterschiedlichen Rollen: als Briefschreiberin, als Leserin und als Managerin des Haushalts bis hin zur Unterstützung von Theodor Fontanes literarischer Arbeit. Aber – und das ist der zweite Aufhänger für die Ausstellung: Wir konnten Ende des letzten Jahres eine sehr glückliche Erwerbung tätigen: Nämlich das Adolph Menzel Gemälde Lesende Dame, das Menzel Emilie Fontane gewidmet hat und das ursprünglich in ihrem Nachlass überliefert worden ist, das dann viele Besitzstationen bis in die USA durchlaufen hat und das jetzt wieder in Deutschland und im Fontane-Archiv beheimatet ist. Auch das gibt es in der Ausstellung zu sehen.

radioeins: Vielen Dank an Dr. Anna Busch, die stellvertretende Leiterin des Theodor Fontane Archivs in Potsdam. Die Ausstellung Emilie 200 in der Villa Quandt ist am Geburtstag von Emilie, am 14.11. von 16 bis 19 Uhr geöffnet. Wer das verpasst: Ab dem 29. November zieht die Ausstellung dann um, und zwar ins Hugenottenmuseum im Französischen Dom in Berlin Mitte, dort bleibt sie bis März nächsten Jahres.

Und wer noch tiefer einsteigen möchte in das Leben der Netzwerkerin: Im Aufbau Verlag ist im Oktober erschienen: »Dichterfrauen sind immer so. Autobiographie in Briefen«, herausgegeben von Christine Hehle und Gotthard Erler mit zahlreichen Briefen von Emilie aus mehreren Jahrzehnten.

Weitere Informationen

Informationen zur Ausstellung Emilie200 und den Veranstaltungen zum Emilie-Jubiläumsjahr 2024 finden sich hier.

Ihre Ansprechpartnerin

Dr. Anna Busch

Stellv. Leitung

Telefon:
+49 331 20139-6

Dr. Anna Busch