Emilies Tintenlöscher

Von Anna Busch

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Blick in das Verwahrgelass des Theodor-Fontane-Archivs

Steigt man in diesen warmen Tagen des Sommers 2021 in den Keller des Theodor-Fontane-Archivs hinunter und öffnet die schwere Tür des Verwahrgelasses, umfängt einen die angenehme Kühle, in der die Archivalien des Hauses bei niedrigen Temperaturen gelagert werden. Hierhin gelangen nur die Archivmitarbeiterinnen und Archivmitarbeiter. Es ist ein großer Ausnahmefall, wenn doch einmal eine Nutzerin oder ein Nutzer eintreten darf, denn hier reihen sich die besonderen Schätze des Archivs aneinander: In grauen Archivkästen lagern die Briefe Theodor Fontanes, seiner Frau Emilie und vieler Freunde, Bekannter und Zeitgenossen. Mit über 6 500 Briefen, Postkarten und anderen Korrespondenzstücken bewahrt das Fontane-Archiv die weltweit umfangreichste Sammlung von Briefen von und an Fontane. Dazu kommen etwa 12 000 Blatt Abschriften und Kopien von zum Teil verschollenen Handschriften Fontanes.

Theodor Fontane gilt als einer der großen Epistolographen des 19. Jahrhunderts, seine Briefe sind vielfach als Quelle für biographische Rekonstruktionen herangezogen und durch die Forschung als immanent wichtiger, eigenständiger Werkteil begriffen worden. Eine zentrale Stellung nimmt in diesem Zusammenhang der Briefwechsel mit seiner Frau Emilie ein. Seit der Publikation des von Gotthard Ehrler herausgegebenen dreibändigen Ehebriefwechsels im Rahmen der Großen Brandenburger Ausgabe wird vor allem Emilie Fontanes Rolle deutlicher, gerät auch sie mit einer eigenen Briefschreibestimme in den Blick.

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Emilie an Theodor Fontane, 11.06.1878, Theodor-Fontane-Archiv, Signatur: B 315. »Mein lieber alter Mann. Ich beeile mich Deinen heutigen Zeilen, mit der ›Argwohns-Abhandlung‹ zu beantworten. Vorläufig war ich froh, daß Du nichts Schlimmeres schreibst, denn ich war schon auf alle möglichen Gräuel gefaßt, ...«

182 Briefe Emilie Fontanes befinden sich derzeit im Besitz des Theodor-Fontane-Archivs, fast die gesamte bekannte Überlieferung.  Sie habe »eine reizende Art zu schreiben, eine Mischung von Natürlichkeit, Unwissenschaftlichkeit und leiser Ironie theils über sich theils über ›Wissenschaftlichkeit‹« urteilt Theodor Fontane über die Briefschreibkünste seiner Frau, aber sie möge doch durchaus nicht »so hingefludderte Brief[e]« an ihn schicken.

An die Briefe Emilie Fontanes, die uns heute noch vorliegen, lässt sich die Kritik ihres Mannes, zumindest was das Äußere angeht, kaum herantragen. Ihre Schrift ist klar, ordentlich und leicht lesbar, die Blätter sind fast durchweg sauber, die Tinte ist nicht verwischt. Ihren Tintenlöscher – der zur gängigen Ausrüstung jedes Schreibtischs gehörte – hat sie gewiss benutzt.

Emilie Fontanes Tintenlöscher (auch Löschwiege genannt) ist – neben den Briefen selbst – eins der besonderen Stücke, das uns über ihre Briefschreibtätigkeit Auskunft geben kann. Der Tintenlöscher verfügt über einen abschraubbaren schwarzen Holzknauf und ein halbrundes Unterteil mit scherenschnittartigen Farn- und Blätterverzierungen, über das Löschpapier – meist auf Vorrat in mehreren Lagen – gespannt wurde. Er wurde genutzt, um durch das Wiegen der gewölbten Fläche über den Brief die feuchte Tintenschrift zu trocknen und so das Verwischen der Schrift zu verhindern.

Friedrich Fontane schenkte den Tintenlöscher nach dem Tod seiner Mutter Hermann Fricke, der den Teilnachlaß Theodor Fontanes als Grundlage des heutigen Fontane-Archivs erworben hatte. Hermann Fricke vererbte den Tintenlöscher seiner Tochter, Friedrun Riederer, die ihn wiederum dem Theodor-Fontane-Archiv zum 60-jährigen Jubiläum am 9. Dezember 1995 schenkte. Seitdem verwahren wir Emilie Fontanes Tintenlöscher zusammen mit ihren Briefen.