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Blog Post01.08.2024

»Bibber«

Emilie Fontane als Mitarbeiterin im ›Schriftstellerladen‹ Fontane

von Klaus-Peter Möller

Emilie Fontane hat nicht nur die Kinder erzogen und den Haushalt geführt, was bei dem immer wieder zweifelhaften Einkommen etwas heißen will. Sie erwies sie sich auch als kompetente Partnerin. Sie verstand eine Menge von Literatur und Kunst und war eine passionierte Theaterbesucherin. In ihrer Jugend wäre sie selbst gern Schauspielerin geworden. Sie war die erste Leserin ihres Mannes – und seine erste und unerbittlichste Kritikerin. Am 14. Juni 1883 notierte sie ihre Eindrücke über sein neuestes Werk, den Roman Graf Petöfy, den sie fast fertig abgeschrieben hatte, auf einem Briefbogen, faltete das Blatt aber anschließend um und schickte auf den nun äußeren Seiten ein vorsichtiges Understatement voraus. Schließlich kannte Sie die empfindliche Seite ihres Mannes:

»Instehend mein ›Gequatsch‹ wie es mir, nach dem Abschreiben in die Feder kam; ich wollte es Dir erst nicht schicken, aber warum nicht? Kleine Pferde machen auch … u. Du siehst doch mein warmes u. ängstliches Interesse an Deiner großen Arbeit. […] Heut werde ich mit der Abschrift fertig. […] Ich bitte nochmals nichts für ungut zu nehmen, aber ganz Schweigen, wie ich erst wollte, hätte Dich doch stutzig gemacht u. da ich zum großen Publikum gehöre, so werde ich auch hoffentlich mit meinen Ausstellungen Unrecht haben.«

Die so angekündigte Kritik, die im Begleitbrief auf den Außenseiten sogar noch ihre Fortsetzung findet, nimmt den Innenteil des Briefbogens ein:

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Brief Emilie Fontanes an Theodor Fontane, 14.06.1883, Theodor-Fontane-Archiv Potsdam, B 323
 (opens enlarged image)Image: TFA
Brief Emilie Fontanes an Theodor Fontane, 14.06.1883, Theodor-Fontane-Archiv Potsdam, B 323

»Ich muß mich natürlich jedes Urtheils enthalten, bis auf die Detail-Schilderung die schön, gewiß noch schöner ist, wenn man sie liest, u. nicht mühsam Wort für Wort schreibt. Die Handlung, Exposition fehlt mir; F[ranziska]. u. E[gon]. können doch nicht gleich in Liebe verfallen? er wirkt außerdem schemenhaft, man würde nicht begreifen, daß er kam, sah u. siegte. Sein Selbstgespräch: Weiter oder Rückzug? wirkt zu leidenschaftslos u. zu sehr wie von einem, der zu rechnen gewöhnt ist. Der Schluß└des Kapitels, wo er seine Stellung zu ihr in Ueberlegung zieht[,]┘doch fast zu zurecht gemacht u. pußlich. Aber wie gesagt, ich komme durch das Abschreiben immer am schlechtesten fort.

Wenn F. so gleich dem ersten, besten, den sie sieht, zum Opfer fällt, dann muß der alte Graf ein schlechter Menschenkenner gewesen sein, daß er einen solchen Feuerbrand auf seine alten Tage nehmen konnte; die Liebe der beiden, wenn eben nichts in den ersten Kapiteln voraus geht, erscheint so abrupt, daß man nicht recht daran glaubt. Dazu ist F. zu, ich weiß nicht wie geschildert, zu sehr Welt, Menschen etc. kennend, u. resignirt, nicht wie ein frischer Springquell. Doch ich schwatze u. weiß nichts. – Schrecklich für mich ist die immer wiederkehrende Abkürzung von: wurde in wurd'; es sieht auch schon so schlecht aus. Liebesschilderungen, merkt man dir doch zu sehr an, sind nicht Deine Sache; ein Tröpfchen von Storms ›Bibber‹ könnte meinem Geschmacke nach nicht schaden.«

Am 15. Juni 1883 rechtfertigte sich Fontane in einem großartigen Gegenbrief, ohne die Vorwürfe im Einzelnen zu entkräften. Freimütig räumte er ein, kein »Meister der Liebesgeschichte« zu sein. Was einem »von Grund aus« fehle, können keine Kunst ersetzen. Allerdings sei er stolz und froh, dass er den »Stormschen ›Bibber‹« nicht habe. Dieser merkwürdige Familienausdruck erklärt sich aus einem Schreiben an Paul Heyse, in dem Fontane bereits 1859 über die Novelle Späte Rosen spottete, man sehe »Storm’en« hier »beständig bibbern und zittern«. Fontane lobte den »feinen künstlerischen Sinn« seiner Frau, sie wäre aber »wie die meisten Frauen eine conventionelle Natur«. Was im Leben ein Glück sei, berechtige sie jedoch nicht zur Beurteilung von Kunstwerken, deren Zweck und Ziel es sei, »sich über das Conventionelle zu erheben«.

Fast alle Werke, die er während seines fast 50 Jahre währenden Literatenlebens publizierte, hat Emilie mit ihrer Hand ins Reine geschrieben, etwa 40 Bände, darunter die Kriegsbücher. Denn so, wie die Manuskripte von seinem Schreibtisch kamen, konnte man sie unmöglich einem Verlag präsentieren. Von der Abschreibearbeit am Roman Der Stechlin berichtet Fontane seiner Tochter Martha (Mete) in einem Brief vom 13. Juli 1897: »Mama sitzt fest am Schreibtisch und packt Blatt auf Blatt; ich bewundre den Fleiß, aber nicht die Stimmung; sie leidet unter einer kolossalen Langenweile, deren zu Tage treten weder schmeichelhaft noch fördersam für mich ist, auch nicht durch die Resignation in die sie sich kleidet. Denn diese Resignation hat weniger von einer weichen Wehmuth als von einer stillen aber starken Verzweiflung. Schriebe ich noch einen Roman – allerdings undenkbar – so würde ich einen Abschreiber nehmen, coute que coute.« Dazu kam es aber nicht, Der Stechlin war das letzte Werk Fontanes.

Empfohlene Zitierweise: Klaus-Peter Möller: »›Bibber‹. Emilie Fontane als Mitarbeiterin im ›Schriftstellerladen‹ Fontane«, Blogserie Objekt des Monats, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 1.8.2024. URL: https://www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2024/08/1/bibber