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Blog Post21.03.2022

Abednego, der Pfandleiher

Theodor Fontanes Übersetzung von Catherine Gores Roman – ein Glücksfall von Überlieferung

von Klaus-Peter Möller

Der Geistesgegenwart und unermüdlichen Sammeltätigkeit von Fontanes Sohn Friedrich ist es zu verdanken, dass Theodor Fontanes Übersetzung von Catherine Grace Gores Roman Abednego the Money-Lender 2021 erstmals im Druck erscheinen konnte – 180 Jahre nach ihrer Entstehung. Die eigenhändige Reinschrift des Manuskripts, die Otto Pniower 1909 für das Märkische Museum ankaufen konnte, ist seit 1945 verschollen. Eine von Autorin und Übersetzer autorisierte Ausgabe hat es nicht gegeben. Ein Raubdruck, den Fontane in seinen Erinnerungen Von Zwanzig bis Dreißig erwähnte, ist bibliographisch nicht nachgewiesen. Das Typoskript, das Friedrich Fontane 1909 während der Ankaufverhandlungen von dem Manuskript anfertigen ließ, ist mithin der einzige überlieferte Textzeuge. Es wird im Theodor-Fontane-Archiv unter der Signatur Na 7 verwahrt.

Erstmals veröffentlicht wurde Gores Roman unter dem Titel Abednego the Money-Lender von März bis Dezember 1842 in der in Edinburgh erscheinenden Zeitschrift Tait’s Edinburgh Magazine. Ein weiterer gekürzter Abdruck erschien am 10. Januar 1843 in der Nummer 16 der Zeitschrift Brother Jonathan im Verlag Wilson & Co. in New York. Abed-Nego hieß einer der drei Männer, die Nebukadnezar in den Feuerofen stoßen ließ, weil sie sich weigerten, den von ihm geschaffenen Goldgötzen anzubeten. Der Prophet Daniel berichtete von diesem menschlichen Wunder, das noch durch ein göttliches bekräftigt wurde. Die erste Buchausgabe, 1843 in drei Bänden bei Henry Colburn in London erschienen, verzichtete auf den stigmatisierenden Namen im Titel, fortan hieß der Roman The Money-Lender. 1854 wurde der Roman in die Reihe The Railway library aufgenommen. 

Titel der März-Heftes von Tait’s Edinburgh Magazine
Titel der März-Heftes von Tait’s Edinburgh Magazine und Beginn des ersten Abdrucks des Romans, Library of the University of Michigan B 489165

 

 

Die Autorin geißelte in ihrem Roman die gedankenlose Verschwendungssucht und Geldgier ihrer Zeitgenossen. Mit dem Sepharden Abednego Osalez gelang ihr eine ambivalente, symbolhafte Figur, die als eine der bedeutenden Wucherer-Gestalten der Literatur neben Shakespeares Shylock, Dickens’ Ebenezer Scrooge und Feuchtwangers Jud Süss gestellt werden muss. Gores Roman zeichnet sich durch die kritische Haltung der Autorin dem zeitgenössischen Antisemitismus gegenüber aus.

Titelseite des ersten Bandes Catherine Grace Gores Roman Abednego the Money-Lender
Titelseite des ersten Bandes der ersten Buchausgabe, Library of the University of Illinois 823 G 66 mon

 

 

Als sich Theodor Fontane in den 1840er Jahren als Schriftsteller zu profilieren versuchte, übersetzte er neben Shakespeares Hamlet auch Gores Abednego, und zwar nach dem Zeitschriftenabdruck, von dem sich die Buchausgabe nicht nur durch den geänderten Titel unterscheidet. Er sah dieses Werk offensichtlich als charakteristisch und wegweisend für die zeitgenössische englische Literatur an, die es in Deutschland zu vermitteln galt. Einer 1873 angesichts des beeindruckenden Gebäudekomplexes des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen festgehaltenen Notiz zu Folge, nutzte Fontane für diese Arbeit seinen Aufenthalt in Letschin im Jahr 1843, für ihn offenbar eine Art Ferien in seiner Gesellenzeit, obwohl ihm sein Vater in einem Zeugnis bestätigte, dass er vom 1. April 1843 bis 1. April 1844 die Defektur seiner Apotheke »mit rühmlichem Eifer« und zu seiner »völligen Zufriedenheit« verwaltet habe (vgl. Möller 2002). Vermutlich von Joseph Meyer erhielt Fontane damals, wie er sich erinnerte, einen »famosen« Brief, der leider nicht überliefert ist. Aber es wird wohl eine Absage gewesen sein. Ein einziges Mal erwähnte Fontane seine Abednego-Übersetzung in seiner Korrespondenz, und zwar in seinem Brief an Wilhelm Wolfsohn vom 22. Februar 1851. Da lag diese Arbeit schon einige Jahre zurück. Erst beim Schreiben seiner Erinnerungen Von Zwanzig bis Dreißig kam er noch einmal beiläufig darauf zurück. Es ist kein Wunder, dass diese Arbeit in Vergessenheit geriet.

Nach verschiedenen erfolglosen Publikationsversuchen überließ Fontane die Übersetzung offenbar Georg Günther, dem er auch einige andere Manuskripte anvertraut hatte, die ungedruckt blieben. Günther (1808–1872) gehörte zu den prägenden Persönlichkeiten, die Fontane in der Vormärzzeit in Leipzig kennenlernte. Er war Redakteur der Eisenbahn, für die Fontane Vormärz-Gedichte und -Artikel schrieb, und der in Leipzig erscheinenden Allgemeinen Zeitung. Auch nach Fontanes Abschied aus Leipzig setzten beide ihren Austausch  fort. Während Fontane 1844–45 seinen Einjährigfreiwilligendienst leistete, besuchte ihn Günther in Berlin. Fontane berichtete von gemeinsamen Theaterabenden und Kneiptouren. Günther vertrat die Linken in der Frankfurter Nationalversammlung und emigrierte 1851 in die Vereinigten Staaten. Fontane entschied sich Ende 1849 gegen eine Ausreise nach Amerika:

»Ich gedenke auszuhalten: einmal weil ich noch hoffe, dann aber auch weil ich übersiedelnd in die neue Welt Bande zerreißen müßte, die mich mit meinem eigentlichsten Leben an unsre deutsche Erde fesseln. Wir sind nicht alle gleich in dem, was das Herz begehrt; und die Freiheit und Unabhängigkeit, die der Eine draußen in der Welt sucht, findet der Andere in dem Freistaat der Kunst und Wissenschaft. Ich liebe die deutsche Kunst. Das ist mein eigentliches Vaterland, und es aufgeben, sie aufgeben, hieße mich selbst aufgeben. Jeder zieht seines Weges, – ich den meinen. So scheiden wir denn. Meine besten Wünsche geleiten Sie übers Meer.« (HFA IV, 1, S. 99; Nachweis in der Briefdatenbank, vgl. auch Fontane Bibliographie)

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schickte Günther Fontane 1871 einige dieser Manuskripte zurück. Die Gore-Übersetzung war nicht darunter. Sie tauchte erst im Frühjahr 1909 wieder auf, als ein gewisser Carl Krause den Erben Fontanes das Manuskript im Namen der in Florenz lebenden Tochter des verstorbenen Günther zum Verlag offerierte und schließlich, weil eine Übertragung des Verlagsrechts nicht nachweisbar war, zum Kauf anbot. Friedrich Fontane bat am 17. Juni 1909 um Zusendung des Manuskripts, um es prüfen zu können. Am 25. Juni bestätigte er den Erhalt. An der Echtheit hatte er keinen Zweifel. Am 23. Juli berichtete er Paul Schlenther als Mitglied der von seinen Eltern testamentarisch eingesetzten Nachlasskommission ausführlich von der Angelegenheit. Auch eine Abschrift des bis dahin mit Krause geführten Schriftwechsels legte er bei. Außerdem teilte er mit, dass er inzwischen etwa die Hälfte des Manuskripts habe abschreiben lassen. Schon am nächsten Tag antwortete Schlenther auf einer Postkarte aus Marienbad, ohne die Übersetzung gesehen zu haben: »Th. F.ʼs Übersetzung des Romans von Mrs Gore kann meiner Meinung nach ein Publikations-Interesse kaum mehr haben. Offenbar ist es eine Arbeit gewesen, mit der er in London nur Geld verdienen wollte. Vielleicht war es auch nur eine Übungsarbeit. Ich möchte ganz der Mühe des Lesens überhoben sein.« (Theodor-Fontane-Archiv: W 625,1). Diese Auskunft wurde am 25. Juli unter Friedrich Fontanes Firmenadresse zugestellt und offenbar unverzüglich an den Chef weitergeleitet, der seine Anweisung auf einem kleinen Zettel notierte:

Friedrich Fontane, Anweisung an das Büro seines Verlages, mit Posteingang 26. Juli 1909.  (opens enlarged image)Image: TFA
»Schlenther höfl. für seinen Bescheid danken, aber trotzdem versuchen, das Manuskript abschreiben zu lassen. F.« (Friedrich Fontane, Anweisung an das Büro seines Verlages, mit Posteingang 26. Juli 1909. Theodor-Fontane-Archiv W 625,2)
brief von C. F. Cazenove (The Literary Agency of London) an F. Fontane & Co., London, 16. Juli 1909. (opens enlarged image)Image: TFA
C. F. Cazenove (The Literary Agency of London) an F. Fontane & Co., London, 16. Juli 1909. Theodor-Fontane-Archiv: W 334.

Auch dieser Zettel trägt einen Posteingangsvermerk, und zwar vom 26. Juli 1909 (Theodor-Fontane-Archiv: W 625,2). Dieses »trotzdem abschreiben« zeigt Friedrich Fontane als weitsichtigen Verleger und engagierten Sachwalter des Nachlasses seines Vaters, denn die Auskünfte, die er einholte, waren einhellig und gleichlautend mit der Einschätzung Paul Schlenthers. Philipp Rath hatte ihm im Namen der in Berlin und London niedergelassenen Buchhandlung A. Asher & Co. am 13. Juli mitgeteilt, dass die Romane der Mrs. Gore »auch in England fast völlig vergessen« seien (Theodor-Fontane-Archiv: W 333). Und C. F. Cazenove schrieb ihm am 16. Juli 1909 im Namen der Literary Agency of London von G. H. Perris und C. F. Cazenove: »This style is now as dead as Queen Anne, and has gone out with side-whiskers and top-hats.« (Theodor-Fontane-Archiv: W 334).

Das Manuskript wurde nach einigem Hin und Her vom Märkischen Museum für 500 Mark angekauft. Friedrich Fontane behielt die Abschrift. Aus seiner Hand gelangte sie in das Theodor-Fontane-Archiv, als diese Sammlung in den öffentlichen Besitz überging, die Abschrift wird aber nirgends besonders erwähnt. Offenbar sah auch Friedrich Fontane keine Möglichkeit, die Übersetzung im Druck erscheinen zu lassen. Im ersten Verzeichnis des Archivs, 1937 von Hermann Fricke publiziert, ist das Typoskript mit der Signatur V 8 unter den Schreibmaschinen-Manuskripten verzeichnet: »Mrs. Goor. Roman. Übersetzt von Th. Fontane.« Bei der Neuverzeichnung der Reste des Fontane-Archivs nach dem 2. Weltkrieg erhielt es die Signatur Na 7.

Fontanes Übersetzung ist eine beachtliche Leistung, die das feine Gespür des jungen Dichters für beide Sprachen erkennen lässt. Die poetische Qualität dieser frühen Arbeit Fontanes wird deutlich, wenn man seine Nachdichtung mit der ersten deutschen Version vergleicht, die Ludwig Hauff 1846 in der von Carl Spindler herausgegebenen Reihe Das belletristische Ausland veröffentlichte. Fontane bemühte sich um eine moderne, gefällige Sprache und um Entsprechungen selbst für regional-dialektale, gruppensprachliche oder manierierte Redeweisen von Figuren. Besondere Aufmerksamkeit widmete er Gedichten, Versen, Liedern und pointierten Passagen. Auch sein Faible für aussagekräftige Komposita lässt sich schon hier an einzelnen Beispielen beobachten.

2021 hat Iwan Michelangelo D’Aprile den Text herausgegeben. Damit rückt auch das Typoskript Na 7 ins Zentrum der Aufmerksamkeit, das so lange im Archiv ein Schattendasein führte. Am 24. März 2022 stellt der Herausgeber das Buch im Theodor-Fontane-Archiv vor. Alle erwähnten Ausgaben sind im Internet zugänglich. Das Typoskript steht Interessenten auf der Webseite des Theodor-Fontane-Archivs in der digitalen Handschriftensammlung zur Verfügung.

Bestände

Das Typoskript »Abednego. Der Pfandleiher« wird im Theodor-Fontane-Archiv unter der Signatur Na 7 verwahrt.

Weiterführende Literatur

Rudolf Muhs: Broterwerb, Politik und Kunst. Neubestimmung eines Fontaneschen Briefentwurfs vom Ausgang der Revolutionszeit. In: Fontane Blätter 95 (2013), S. 17–45.

Veranstaltung

Am Donnerstag, den 24. März 2022, um 19.00 Uhr lädt dasTheodor-Fontane-Archiv zu einer Buchpräsentation der Fontaneʼschen Übersetzung durch den Herausgeber Iwan-Michelangelo D’Aprile.

Empfohlene Zitierweise: Klaus-Peter Möller: »Abednego, der Pfandleiher. Theodor Fontanes Übersetzung von Catherine Gores Roman – ein Glücksfall von Überlieferung«, Blog »Objekt des Monats«, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv. Potsdam 2021ff. URL: www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2022/03/21/abednego-der-pfandleiher. Veröffentlicht am: 21.03.2022.