Who done it, »Kommissar honoris causa«?

Maria Brosig

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Exemplarisch für die Kriminalliteratur des 19. Jahrhunderts: Fontanes historische Kriminalnovelle »Unterm Birnbaum« (1885). Erstdruck in der Familienzeitschrift »Die Gartenlaube« von September bis November 1885

 

 

Wer den Kopf darüber geschüttelt hat, dass Fontane im Jubiläumsjahr 2019 nicht nur literarisch-künstlerische Produktionen inspiriert hat, sondern auch Liköre, Seifenstücke und gar Neuruppiner Dosen-Klopse bewerben half, dem wird auch ein anderes Phänomen suspekt erscheinen: der Fontane-Krimi. Auf dem weiten Feld der literarischen Wirkungsgeschichte des Autors erscheint er so künstlich wie ein Dosen-Klops, – obwohl Fontane über seine kanonische Kriminalnovelle Unterm Birnbaum (1885), aber auch durch Quitt (1891), Ellernklipp (1881) und Grete Minde (1880), durchaus Verbindungen zur Kriminalliteratur hält.

Was also hat es auf sich mit den insgesamt acht, zwischen 2009 und 2019 erschienenen Romanen von Frank Goyke, Wolf von Angern, Johannes Wilkes und Horst Bosetzky, die das 41. Kapitel der Fontane-Bibliographie unter dem Titel »Zur Wirkungsgeschichte I: Fontane und sein Schaffen in künstlerischen Werken anderer« versammelt?

Drei Viertel der Fontane-Krimis entfallen auf ihre historischen Varianten und kommen bei Frank Goyke und Wolf von Angern als biographische Fiktion daher:

Frank Goyke

Wolf von Angern

Goyke und Wilkes inszenieren ihren Fontane als nebenamtlichen Zufallsdetektiv, der die Verbrechensaufklärung an der Seite professioneller Ermittler, vorwiegend in Berlin, der Mark Brandenburg, aber auch in Italien vorantreibt und mithilfe seines »scharfen Verstandes« (Angern 2016) zum Ziel führt. Ob der Autor dabei in den Mordfall eines Berliner Baulöwen verwickelt wird oder aber zusammen mit Adolph von Menzel am Tatort eines vermeintlichen Arbeitsunfalls im Eberswalder Walzwerk eintrifft, in dem ein Transmissionsriemen einen Arbeiter zerquetscht hat: Die Autoren setzen auf die historische Genauigkeit der Tatorte und gesellschaftlichen Milieus und zeigen sich darum bemüht, die Aufklärungsarbeiten plausibel in Fontanes Lebenswelt zu integrieren.

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Für den Mordfall von »Unterm Kirschbaum« von Horst Bosetzky liefert Fontanes "Unterm Birnbaum" den entscheidenden Hinweis. In »Der Fall Fontane« von Johannes Wilkes wird ein Axtmord am legendären Birnbaum in Ribbeck aufgeklärt.

 

Anders als in den historischen Fontane-Krimis versetzen Johannes Wilkes und Horst Bosetzky die Aufklärung ihrer Mordfälle in Der Fall Fontane (2019) und Unterm Kirschbaum (2009) in die unmittelbare Gegenwart.

Während Bosetzkys Roman Unterm Kirschbaum (2009) als Aktualisierung von Fontanes Unterm Birnbaum angelegt ist, entsendet der Regionalkrimi von Johannes Wilkes ein Ermittlerduo an Schauplätze der lebendigen, aber auch verdächtigen Fontane-Rezeption, v. a. im Ruppiner Land: Detektiert wird in Ribbeck, dem Kultort der Fontaneschen Birnenballade, aber auch in der Neuruppiner Geschäftsstelle der Fontane Gesellschaft – sogar das Potsdamer Fontane-Archiv wird beschattet!

Wer den Fontane-Krimi auf seine Gründe, Motive und Alibis befragt, sieht das Genre auf mindestens zwei Konjunkturwellen segeln: des Regionalkrimis sowie des Krimis mit realhistorisch-prominenter Ermittlerfigur. Von hier aus ist der Weg zum »Dichterkrimi« (Gelbhaar) kurz – und Fontane nicht allein auf Mörderjagd; ermitteln neben ihm doch auch andere Berufskollegen mit Doppelexistenz: Theodor Storm im Norden, das klassische Ermittlerduo Goethe und Schiller in Frankfurt am Main, ja selbst Joseph von Eichendorff ist in Thüringen aktiv, um den vermeintlichen Selbstmord eines Erhängten sowie den Mord an einer Gräfin aufzuklären. Versteht sich von selbst, dass der Brandenburgische Nationaldichter in dieser Kriminal-Gesellschaft nicht fehlen kann!

Wer nun Fontane beim Ermitteln über die Schulter schauen will (Wolf von Angern, Frank Goyke) oder wissen möchte, inwiefern sich seine Kriminalnovelle Unterm Birnbaum auch zur Aufklärung eines gegenwärtigen Mordes eignet (Horst Bosetzky), oder welche »clues« zum Axt-Mörder von Ribbeck (Johannes Wilkes) führen: Die acht Bände mit insgesamt knapp 1900 Seiten laden zur Autopsie des Fontane-Krimis ein: Man lese und staune!

Literatur

Horst Bosetzky: Mord und Totschlag bei Fontane. Berlin: Jaron 1998.

Maria Brosig: Literarische Rezeption: XV.2.1 Roman und literarische Prosa. In: Theodor Fontane Handbuch. 2. Bde. Hrsg. von Rolf Parr, Gabriele Radecke, Peer Trilcke, Julia Bertschik. New York, Boston: De Gruyter 2023, Bd. 2, S. 1323–1346.

Dorle Gelbhaar: Der Dichter als Ermittler. In: Vorwärts, 26.11.2010.