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Blogbeitrag04.09.2023

»Urlicht«

Lektürespuren in Fontanes Handexemplar von Heinrich Heines »Romanzero«

von Klaus-Peter Möller

 (öffnet Vergrößerung des Bildes)Bild: TFA
Fontanes Handexemplar von Heinrich Heines Romanzero Theodor-Fontane-Archiv Q 39

 

Theodor Fontane erteilte Heinrich Heine nicht nur Zensuren, für die meisten Gedichte des Romanzero waren sie gerade einmal mittelmäßig, er fand sogar manche Stelle, die seiner Meinung nach überflüssig oder zu verbessern wäre. Die Schönheit der verstolperten Metren und die lexikalischen Einfälle des berühmten Dichters leuchteten ihm nicht in jedem Fall ein. Für »Zögerung« oder »Buhlgedanken« notierte er die Alternativen »langen Zögerns« bzw. »sündige Gedanken«. Störend schien Fontane auch das Epitheton für Semiramis, die, nach der Geburt von ihrer Mutter ausgesetzt, von Tauben gewärmt und ernährt worden sei, weshalb sie sich, wie Heine mit bissigem Witz schreibt, manche »Vögelthümlichkeit« bewahrt habe.

Die Randglossen in Fontanes Hand-Exemplar des Romanzero haben nichts von Beckmesserei oder Krittelei. Sie zeugen von einer ernsthaften, genauen Lektüre auf Augenhöhe, immerhin erschien 1850 auch der Sammelband Gedichte von Fontane, und stellen erneut sein poetisches Talent und seine Sensibilität für Sprache unter Beweis. Roland Berbig hat die Heine-Lektüre Fontanes 1998 in den Fontane Blättern in einem »detektivischen Diskurs« erläutert. Detailliert nachvollziehen kann man sie mit Hilfe der Visualisierung der Handbibliothek.

Trotz aller Kritik an Details war Fontane von Heines lyrischem Vermächtniswerk nachhaltig beeindruckt. Auch Fontane fühlte sich als Dichter, auch im »Feuertempel« seines Herzens flammte noch etwas von dem »göttlich reinen Urlicht« der Poesie, das Heine in dem Gedicht Jehuda ben Halevy so großartig besungen hat.

                Rein und wahrhaft, sonder Makel
                War sein Lied, wie seine Seele –
                Als der Schöpfer sie erschaffen,
                Diese Seele, selbstzufrieden

                Küßte er die schöne Seele,
                Und des Kusses holder Nachklang
                Bebt in jedem Lied des Dichters,
                Das geweiht durch diese Gnade.

                Wie im Leben, so im Dichten
                Ist das höchste Gut die Gnade –
                Wer sie hat, der kann nicht sünd’gen
                Nicht in Versen, noch in Prosa.

Ist es eine Reminiszenz an diesen säkularisierten und zwiespältigen Gnadenbegriff, die in Fontanes letztem Roman Der Stechlin so überraschend anklingt, gerade in dem für die Brautwahl Woldemars entscheidenden Gespräch zwischen Melusine und Armgard: »[…] man erringt sich nichts. Alles ist Gnade.« (Kap. 25)?

Eine Anekdote, die auch Goethe in seinen Anmerkungen zum West-östlichen Diwan mitteilte, ist die stoffliche Grundlage von Heines Gedicht Der Dichter Firdusi, das als einziger Romanzero-Text von Fontane das Prädikat »sehr gut« erhielt. Iwan Michelangelo d’Aprile erklärte sogar, Fontane hätte sich derartig mit dem persischen Dichter identifiziert, dass dieser sein »lebenslanges literarisches Alter Ego« (S. 51) wurde. Abul Kasim Mansur (940-1020), bekannt unter dem Beinamen »Firdusi« (»der Glänzende«), Schöpfer des persischen Nationalepos Schāhnāme (Buch der Könige), glaubte für jeden Vers seines berühmten Epos, das sein Lebenswerk war, ein Goldstück erwarten zu dürfen. Als der Schah ihm seinen Lohn jedoch in Silber auszahlte, teilte der Dichter die Summe in drei Teile und schenkte sie dem Boten, dem Bademeister und dem Sorbetschenken. Seine Huldigung an den Schah machte er durch wenige Schmähzeilen zunichte.

Allerdings fühlte auch Fontane sich betrogen, als der Kaiser eine Gratifikation für sein 2000-Seiten-Werk Der Krieg gegen Frankreich abgelehnt und der Chef des Geheimen Zivilkabinetts Karl von Wilmowski ihn mit »dürrer Beamtenhaftigkeit« abgefertigt hatte. In seinem Brief an Mathilde von Rohr vom 30. November 1876 erzählte Fontane die Anekdote von Firdusi nach, wie er sie bei Heine gelesen hatte, aus der Erinnerung und leicht abgewandelt. Da Eigenlob leicht unbescheiden wirkt, fuhr er nach diesem stolzen Vergleich fort: »Ich bin kein Firdusi. Aber der Unterschied zwischen Firdusi und mir ist doch nicht so groß, daß Herr v. Wilmowski sagen dürfte: ›Herr F. hat durch meinen Amtsvorgänger die Summe von 400 Thalern erhalten; nach einem so ‚exorbitanten Geschenk‘ ist es mir nicht möglich für dies neue, größere, sieben Jahre später erscheinende Werk abermals eine Auszeichnung zu beantragen. Ich will indessen S. M. fragen‹« (S. 243-244).

Spannend sind auch die anderen Firdusi-Reminiszenzen, auf die d’Aprile hinwies, eine davon ist geradezu sensationell. 1898 gab Alexander von Melgunoff eine Sammlung wehmütig-sentimentaler Dichtungen seiner Mutter Sophie von Melgunoff (1820—1898) heraus, die in jungen Jahren mit Fontane und Wilhelm Wolfsohn eng befreundet war. Emilie Fontane hielt diese Freundschaft von Anfang an nicht für das, als was sie sich gab, und sah ihren eifersüchtigen Verdacht, wie sie Wolfsohn in ihrem Brief vom 14. April 1850 mitteilte, im Nachhinein bestätigt. Dieser Brief ist auch ein Objekt im Theodor-Fontane-Archiv, das es sich zu betrachten lohnt (Signatur C 373). Hier aber soll nur noch ein Blick auf das Gedicht der posthum erschienenen Sammlung von Tristia von Sophie von Melgunoff fallen, das d’Aprile zu einer weiteren Spekulation über Fontanes uneheliche Kinder anregte.

Firdusi.

Von der Lieb‘ der Nachtigall
Hat Firdusi uns erzählet,
Wie zu ihrer Liebe Ziel
Sie die Rose hat erwählet.

Doch von seinem eignen Fühlen,
Seinen zarten Herzenstrieben
Und von seinem Liebeskummer
Hat der Dichter nichts geschrieben.

Ob er, weinend nicht und elend
Sich verbarg in dunklen Schatten,
Wo des Waldes Zauberstimmen
Süße Tröstung für ihn hatten?

Armer Dichter! warst vielleicht
Unglücklich und arm an Freuden;
Drum verstandest du so tief
Philomeles Herzensleiden!« – –

Was beweist ein Gedicht? Alles. Nichts.

Das »Romanzero«-Exemplar aus dem Besitz des Theodor-Fontane-Archivs mit den handschriftlichen Anmerkungen Theodor Fontanes ist vom 16. September 2023 bis 18. Februar 2024 in der Ausstellung »Dichter? Liebe! - Heines berühmte Leserschaft« im Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf zu sehen.

Literatur

Heinrich Heine: Romanzero. 4. Aufl. Hamburg: Hoffmann & Campe 1852 (Exemplar aus Theodor Fontanes Handbibliothek: Theodor-Fontane-Archiv: Q 39).

Sophie von Melgunoff: Aus der Einsamkeit. Gedichte. o. O. u. J. [Privatdruck, Braunschweig 1998. Das Vorwort datiert Braunschweig, December 1898. Die Berliner Staatsbibliothek besitzt ein Exemplar (50 MA 35438) mit einer handschriftlichen Widmung von Alexander von Melgunoff, Rittmeister u. Eskadronchef i. 2. Bad. Drag. Regiment an eine Mrs. Norman-Smith, datiert Bruchsal i/Baden, December 1899. Das zitierte Gedicht Firdusi S. 112-113].

Annemarie Schimmel: Rose und Nachtigall. Numen , Apr., 1958, Vol. 5, Fasc. 2 (Apr., 1958), pp. 85-109.

Roland Berbig: Der Dichter Firdusi‘ – »sehr gut“. Zu Theodor Fontanes Lektüre des »Romanzero“ von Heine. Begleitumstände mit einem detektivischen Exkurs. In: Fontane Blätter. Potsdam. Heft 65–66, 1998, S. 10–53.

Theodor Fontane. Sie hatte nur Liebe und Güte für mich. Briefe an Mathilde von Rohr. Hrsg. von Gotthard Erler. Berlin: Aufbau 2000.

Iwan Michelangelo d’Aprile: Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2018.

Klaus-Peter Möller: Der märkische Firdusi. In: Ossietzky 20, 2022.

Empfohlene Zitierweise: Klaus-Peter Möller: »›Urlicht‹. Lektürespuren in Fontanes Handexemplar von Heinrich Heines ›Romanzero‹«, Blogserie »Objekt des Monats«, hg. v. Theodor-Fontane-Archiv, 4.9.2023. URL: www.fontanearchiv.de/blogbeitrag/2023/09/4/romanzero