Mein besonderes Buch

Souvenirs d'un prisonnier de guerre allemand en 1870

Von Peter Schaefer

Das Buch, das die längsten Dienstreisen vom Fontanearchiv aus unternommen hat, trägt einen französischen Titel: Souvenirs d'un prisonnier de guerre allemand en 1870. Es durfte schon nach Sofia, nach Paris und Berlin und wurde trotz des unscheinbaren Äußeren dort ausgestellt. Der französische Titel heißt auf Deutsch: Erinnerungsstücke eines deutschen Kriegsgefangenen von 1870. Der originale Titel des Buches von Theodor Fontane lautet Kriegsgefangen. Erlebtes 1870  und erschien kurz nach dem Krieg gegen Frankreich 1870/71 in Berlin, die Übersetzung dann 1892 in Paris. Der Krieg Deutschlands gegen Frankreich war gut 20 Jahre vorbei und führte zu keinem dauerhaften Frieden.

Auch 1892 standen die Dinge zwischen Deutschland und Frankreich nicht zum Besten. Und genau in jener Zeit konnten französische Leser erfahren, wie sich einer der von vielen Franzosen verhassten Preußen fühlte, der als Kriegsberichterstatter in Frankreich in französische Kriegsgefangenschaft geraten war. Nein, ein Kämpfer war es nicht, den die Franzosen praktisch am Fuße des Denkmals ihrer Nationalheiligen Jean d’Arc in ihrem Geburtsort gefangen nahmen, aber vielleicht war der nicht unbewaffnete Preuße mit dem französischen Namen doch ein Spion. Während seiner Gefangenschaft und der damit verbundenen Reise quer durch Frankreich bis zur Atlantikinsel Île d’Oléron begegnete Fontane vielen Franzosen unterschiedlicher Stände und auch vielen anderen gefangenen Deutschen. Nun hätte man erwarten können, dass sich der Gefangene Journalist als Feind der Franzosen und Freund der anderen Deutschen erwies. Stattdessen aber: nichts da von preußisch-deutscher Überheblichkeit, nichts da von Verachtung den Franzosen gegenüber. Da schrieb ein Gegner, der sehr genau wusste, dass er sich in einem alten, traditionsbewussten Kulturland befand.

Man konnte – und kann auch heute noch, denn eine neue Auflage dieser Souvenirs … erschien unter dem Titel Journal de captivité 1986 in Strasbourg – einen vorurteilslosen, mit scharfem Blick beobachtenden Autor erleben, der sehr genau zu differenzieren verstand, der sich in seine Mitmenschen hineinversetzen konnte, ohne auf einen kritischen Blick zu verzichten. Die französischen Leser bekamen die Möglichkeit, mit fremden, wohlwollenden Augen ihr eigenes Land und ihre Landsleute zu erleben.

Das Verdienst, diesen auch in deutscher Sprache ungewöhnlichen Text einem französischen Lesepublikum erschlossen zu haben, gebührt dem französischen Übersetzer polnischer Herkunft Teodor de Wyzewa (1863-1917). Er kannte Berlin, das er 1890 besuchte, aus eigener Anschauung, doch ein direkter Kontakt mit Fontane ließ sich nicht nachweisen. De Wyzewa schrieb über fremdsprachige Schriftsteller, darunter auch Fontane, für ein französisches Publikum und stellte seiner Übersetzung ein umfangreiches Vorwort voran.

In DDR-Zeiten wurde dieses Buch gern als ein Beispiel für mögliche Völkerverständigung vorgezeigt. Das scheint ein wenig übertrieben, aber – ganz falsch ist es nicht.